Wolfshähne

 

Ernsthaft? Ich kann ja viel… aber Haare schneiden? Wie kommen die auf die Idee, dass ich Haare schneiden könnte? Es ist mein letzter Abend in der Casa de Ciclistas in Foz do Iguazu. Mit mir sind ein spanisches Pärchen, ähm Entschuldigung, ein baskisches Pärchen und ein Chilene, dem ich in Südpatagonien schon einmal begegnet war, hier. In den letzten Tagen haben sie wohl den Eindruck gewonnen, dass ich relativ viele Talente habe und so werde ich gefragt, ob ich auch Haare schneiden könne. Ich schaue ob der Frage natürlich verdutzt, grinse dann und bestätige die Frage mit einem: „Selbstverständlich!“. Der Chilene mit den viel zu langen Haaren brauchte dringend einen neuen Haarschnitt. Er wollte das ganze etwas kürzer haben, aber nicht zu kurz. Wir einigten uns auf etwas kürzer als Schulterlang und ich ging ans Werk. Natürlich hatte ich keine Ahnung wie man Haare schneidet und so prustete es nach den ersten Schnitten laut lachend aus mir heraus. Man merkte meinem Kunden an, dass sein Vertrauen bei jedem meiner kurzen Lachanfälle etwas mehr schwand, aber die umstehenden Zuschauer versicherten ihm jedes Mal, dass noch alles in bester Ordnung sei. Natürlich hatte ich keine Ahnung vom Haareschneiden, aber ich hatte immerhin schon einmal etwas von einem Stufenschnitt gehört. Aber natürlich habe ich auch keine Ahnung was das ist, aber ich gab mir viel Mühe dem Namen des Schnitts zu entsprechen und am Ende waren die Stufen deutlich zu erkennen. Allerdings gefiel mir der Stufenschnitt nicht besonders und so glich ich alles wieder etwas aus, bis ich mit dem Endergebnis durchaus zufrieden war. Für meinen ersten Schnitt würde ich das Ergebnis sogar fast als gelungen bezeichnen und auch der Chilene war am Ende sehr zufrieden.P1370347_collage
Am nächsten Tag ging es dann aber los. Nach drei Wochen nun wieder im Sattel. Von Foz do Iguazu ging es über die Grenze nach Ciudad del Este, Paraguays Shopping Hochburg. Angeblich sollen hier gute Schnäppchen, vor allem im Bereich Elektronik zu machen sein. Die StadtP1010007 kommt mir vor wie ein Moloch. Nicht nur seriöse Shoppingtempel reihen sich hier aneinander, sondern auch ein Gewirr von Straßenständen und Gassen, in die Schlepper versuchen einen hineinzuziehen. Ich wollte eigentlich nach einem GoPro Selfiestick schauen, aber die Gasse in die ich geriet gefiel mir gar nicht. Ich war sofort umringt von Schleppern, die mich fragten was ich bräuchte, was ich ausgeben wollte und die mir natürlich den besten Ort zeigen wollten. Ringsherum noch mehr Schlepper, die mit ihren laut knatternden Elektroschockern auf sich aufmerksam machen wollten. Am Ende wurde ich nicht fündig und nach zwei Versuchen, bei denen versucht wurde mir billigsten Schrott, der geschätzt für 1-2 Euro in China eingekauft wurde und bei uns für 10€ bei Amazon oder Ebay zu finden ist, für 20€- 40€ anzudrehen, machte ich mich schleunigst, meinen Rucksack gut festhaltend zurück zu meinem Fahrrad. So schnell wie möglich raus aus diesem Loch!
330 km Paraguay, einmal quer durch lagen nun vor mir und meinen spanischen Gefährten. Diese wollten ab Asuncion den Flieger Richtung Lima nehmen. Stetig auf und ab ging die Straße, ähnlich wie auch schon vorher in der argentinischen Provinz Missiones, allerdings nicht mehr ganz so extrem und je weiter wir nach Westen fuhren, desto flacher wurden die Hügel. Der bekannte Regenwald wurde nach und nach weniger. Verkehr gab es dafür relativ viel, schließlich bewegten wir uns auf der Hauptschlagader Paraguays. Zwar gab es meistens einen Seitenstreifen, dessen Zustand allerdings immer wieder unzureichend war. Zudem erschwerten dicke Querwülste aus Beton das unbeschwerte Vorwärtskommen. Trotzdem hat mir das Land ganz gut gefallen. Überall gab es Essensstände mit günstigen Chipas, das sind Brötchen mit eingebackenem Käse und Anissamen, Grillspießen oder Obststände. Das Preisniveau insgesamt war das bisher günstigste auf meiner Reise und lag ungefähr auf der Hälfte des argentinischen. Entsprechen ist die Armut hier aber auch etwas größer. Auf der Straße sieht man häufiger als sonst Ochsen- Pferde- oder Eselskarren und auch Mopeds werden hier noch häufiger als sonst als Transportmittel genutzt. Dass dabei bis zu vier Personen auf ein Moped passen und dass dabei selten jemand einen Helm trägt bin ich mittlerweile gewohnt. Oft sitzt hinten auf dem kleinen Gepäckträger der jüngste Spross der Familie und klammert sich an seinen Vordermann. Bei einer solchen Szene, als wir gerade bei der Mittagspause saßen, bemerkte mein spanischer Mitreisender treffend: „Er weiß zwar noch nicht viel vom Leben, aber er weiß, dass er sich festhalten muss.“ Man könnte in einer Abwandlung auch sagen: Der Kleine weiß noch nicht viel vom Leben, aber er weiß, dass er daran festhalten muss. Und so sieht man sie häufig, die Kleinen, die sich mit aller Kraft festklammern. Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass wir auch in Paraguay wieder vielen freundlichen Menschen begegnet sind, so wie an einem Abend, als wir an einem Fußballplatz campten und der Nachbar uns zu Licht verhalf. Dafür wurden einfach zwei Kabel mit Haken an die nahe Stromleitung angehängt und schon leuchtete die Glühbirne der Außenbeleuchtung. Gut- das Ganze war jetzt natürlich nicht zu 100% legal, wurde von dem P1010042Mann aber nur mit den Worten kommentiert, dass der Staat sie schließlich auch betrügen würde. Sozusagen ein Akt der Selbstjustiz. Später brachte er uns noch Kostproben seines selbst produzierten Speiseeises vorbei, wovon er immerhin täglich 150 kg herstellt. Wie fast die gesamte restliche Bevölkerung war auch er ein Mestize und sprach neben Spanisch auch Guarani, die Sprache der indigenen Urbevölkerung.
In Asuncion hieß es dann Abschied nehmen von meinen Wegbegleitern. Während sie sich auf die Suche nach Fahrradkartons für die Verpackung der Fahrräder machten, setzte ich meine Reise in Richtung der argentinischen Grenze fort. Vor dem Grenzübertritt setzte ich meine letzten Guaranis noch für ein spezielles Getränk um, welches ich unbedingt noch probieren wollte. Es wird überall am Straßenrand angeboten und ist eine Mischung von Mate und verschiedener frisch zerstoßener Kräuter. Ein recht würziger Trank, der mir in einem 1 l Gefäß serviert wurde, den ich aber nur zur Hälfte schaffte, denn der Geschmack des Suds wurde mir mit zunehmender Ziehzeit zu intensiv. Trotzdem interessant.
Nun also wieder zurück in Argentinien. Ab der kleinen Grenzstadt Clorinda geht es topfeben immer Richtung Westen. Und Topfeben war die Strecke wirklich! Die ersten drei Tage ging es abwechslungsreich vorbei an Palmenwäldern, in deren Schatten Kühe weideten, Bananenplantagen und dann wieder an unendlich weiten Palmenwälder. Höhenunterschied in diesem Abschnitt: Praktisch null. Ähnlich verhält es sich im übrigen auch mit der Bevölkerungsdichte auf diesem Abschnitt. Ein bis maximal zwei kleine Dörfer pro Tag mit Miniläden für Nachschub. Entsprechend entspannt gestaltete sich auch das Radeln. Alle paar Minuten, teilweise auch deutlich seltener mal ein Auto oder Motorrad. Insgesamt war das Gebiet deutlich feuchter als ich es mir vorgestellt hatte und so fuhr ich am vierten und fünften Tag in Argentinien durch richtige Feuchtgebiete mit zahlreichen exotischen Wasservögeln und auch Krokodilen.P1010077 Lebend habe ich letztere leider nicht zu Gesicht bekommen, dafür aber als Steak auf den Teller. Zufällig beobachtete ich ein paar Männer, die am Straßenrand ein Krokodil zerlegten und als stets hungriger Radfahrer war ich natürlich sofort zur Stelle. Ich bot den Männern an ein Stück des Krokodils abzukaufen, wurde dann aber zu meinem Glück mit reichlich Fleisch beschenkt. Am Ende so viel, dass ich nicht alles essen konnte. Das Fleisch, für diejenigen, die bisher noch keinen Alligator gegessen haben, lässt sich geschmacklich mit Hühnchen vergleichen, wenn auch ganz leicht intensiver im Geschmack, dabei aber aufgrund der dicken Fasern etwas bissfester, teils etwas gummiartig von der Konsistenz, wenn man zu große Stücke auf einmal in den Mund schiebt. Einen Teil des Fleisches, das ich an dem Abend nicht mehr schaffte, nahm ich für den nächsten Tag als Proviant mit. Gator-Sandwich. Mal etwas anderes als immer Salamibrötchen oder Dosenthunfisch. Immer noch flach ging die Fahrt weiter Richtung Westen, vorbei an Straßensperren von indigenen Kleingruppen, die damit noch mehr Privilegien für ihren Stamm heraushandeln wollten und hierzu als Druckmittel für 23 Stunden täglich den Verkehr lahm legten, durch zusehends trockener werdende Landschaft. Immerhin gewann ich, fahrtechnisch nicht merklich, pro Tag nun ein paar Meter an Höhe. Anstatt der Wasservögel flogen nun immer wieder Mutanten- Heuschrecken über meinen Kopf hinweg. P1010104Mutanten- Heuschrecken sind im Prinzip ähnlich wie unsere Grashüpfer, sind hier aber 10-15 cm groß! Riesige Tiere und mit ihren blauen Flügeln fliegen sie wie übergroße Falter durch die Luft und legen dabei richtig weite Strecken zurück. Für mich völlig faszinierend. Ähnlich wie die Landschaft. Immer mehr Kakteen mischten sich unter den Busch und Strauchbewuchs am Straßenrand und so ergaben sich für mich schöne, idyllische Campgelegenheiten unter Kaktusbäumen. Die letzten Tage versuchte ich dabei immer weit entfernt von Siedlungen mein Zelt aufzuschlagen. Denn so ruhig die Tage auf der einsamen Straße waren, so unruhig waren die Nächte, wenn man in Siedlungsnähe übernachtete. Schuld waren die Wolfshähne. Anders als man es in der Schule lernt, krähen Hähne nicht (vor allem) zum Sonnenaufgang! sie krähen zu jeder Stunde! Immer! Aber vorzugsweise nachts. Und hier kommen wir zum Kern des Problems: Die arme Bevölkerung im Norden Argentiniens setzt noch in vielen Bereichen auf Selbstversorgung. So hält fast jede Familie im Garten (oder auf der Straße vor dem Haus) ein paar Hühner und Hähne. Dies wiederum führt zu einem, sich überall entlang der Strecke seit Paraguay all abendlich nach Sonnenuntergang im Stundentakt wiederholenden Szenario. Ein Hahn fängt an zu krähen, die anderen Hähne im Garten machen mit und, hierdurch animiert, auch noch alle Hähne der Nachbarschaft. Das kumulierte Krähen des Rudels wird dabei richtig laut und reißt einen mehrmals pro Nacht aus dem Schlaf. Dass durch den Krach auch noch alle Hunde im Dorf anfangen laut mitzubellen fällt dabei kaum mehr ins Gewicht. Die Lösung für einen ruhigen Schlaf ist also nur das Campen weit abseits jeglicher Zivilisation. P1370563Die Nächte werden mittlerweile recht kühl und die Temperaturen liegen im Bereich von 4-6 Grad. Nicht kalt, aber zumindest so, dass man nach dem Abendessen nicht mehr lange draußen sitzen möchte. Einen Abend entzünde ich mir daher ein Lagerfeuer. Wohlig breitet sich die Wärme aus, das Knistern und das Lodern der Flammen verbreiten eine gemütliche Stimmung, während über mir der Sternenhimmel funkelt. Im Rucksack habe ich noch eine Banane. Nah ans Feuer gelegt wird daraus eine Grillbanane und in Kombination mit heißem Nutella wird daraus ein wunderbarer Lagerfeuernachtisch. Mit Teetasse in der Hand sitze ich 1,5 Stunden einfach nur da und genieße mein Feuer, völlig in mir ruhend und zufrieden. Der Rest der Reise ist schnell erzählt. Endlich sehe ich in der Ferne die Ausläufer der Anden. Die ersten Felder beginnen, ich biege nach Süden ab und fahre plötzlich durch fruchtbare, grüne Landschaft mit Erbsen-, Bananen- und Zitrusfrüchteanbau und endlos viel Zuckerrohr, so weit das Auge blickt. Die Bevölkerung ist auch wieder etwas wohlhabender, es gibt mehr Verkehr auf der Straße und auch mehr modernere Autos. Endlich geht es auf den letzten 60 km nun deutlicher bergauf und nach 1540 km erreiche ich das auf 1250 m Höhe gelegene San Salvador de Jujuy. Ausgangspunkt für meine nächste Andenüberquerung in Richtung San Pedro de Atacama. 4833 m als höchster Punkt gilt es dabei zu überprüfen. Aber vorher nun erstmal Beine ausruhen und Kraft sammeln für den Gipfelsturm.
Fazit: Die Fahrt durch eine der ärmsten Regionen Argentiniens, ohne nennenswerte touristische Highlights gestaltete sich erstaunlich abwechslungsreich und war für mich einer der bisher schönsten Abschnitte der gesamten Reise. Bei durchgehend gutem Wetter hatte ich eine ganze Straße, die dazu noch wunderbar geteert war, mehr oder weniger für mich allein. Ich genoss die Ruhe und Einsamkeit um mich herum in dieser exotisch anmutenden Landschaft. Ein Gefühl der Freiheit!
Anbei wie immer ein paar Fotos (45) mit Impressionen, auch wenn dieser Abschnitt aus fotografischer Sicht nicht so spektakulär war wie die vorausgegangenen. Bis zum nächsten Mal und viel Spaß damit!

P.S.: Leider funktioniert mein bisheriges Gallerietool nicht. Daher hier die Notlösung. Für eine große Ansicht der Bilder müssen diese angeklickt werden und im neuen Fenster dann nochmal. Tut mir leid für diese umständliche Lösung.

8 thoughts on “Wolfshähne”

  1. Du hättest deinen Co – Piloten besser versorgen müssen, die Fanta kam eindeutig zu spät… 🙂
    Und Wolfshähne sind schon ’ne krasse Spezies 😉
    Außerdem solltest du dir in der nächsten Stadt eine Haarschneideschere kaufen, um mit deinem neu entdeckten Talent deine Reisekasse ein wenig aufzubessern 🙂 🙂

    1. Danke. Hoffe ich bekomme die Fotos in den anderen Berichten wieder hin…

  2. Hallo Niko,
    das sind ja viele neue Berichte und Fotos auf Deiner Seite! Hat Spaß gemacht, das mal wieder alles anzusehen und an Deiner tollen Reise teilzuhaben. Dir weiterhin gute Fahrt. Freuen uns schon auf die nächsten Bilder und Berichte!

  3. Hallo Niko
    Wieder mal super Leistung und toller Bericht. Weiter so!!! Und jetzt gibt es dann die ersten Meerschweinchen zum probieren ;-).
    Wenn du nach San Pedro de Atacama gehst, nimm genug Bargeld mit. Aber das kennst du ja schon. Wir waren im Valle de la Luna. Hat uns sehr gefallen und kannst es auch mit dem Fahrrad machen. In der Nacht fährst du am besten ein Stück aus dem Dorf, dann hast du eine wunderbare Sicht auf die Sterne.
    Grüsse aus der Schweiz
    Michi und Pia

    1. Hey, freut mich, dass ihr meine Reise noch immer mit Interesse verfolgt! Ich warte ja auf die Mail, dass du doch noch ein paar Kilometer mitfahren willst 😉

  4. Hi, Niko = freut mich wieder ein Lebenszeichen zu bekommen. Ein Glueck dass du
    so „tough“ bist und ich hoffe du ueberquerst die Anden bevor der Winter dich
    einholt. Sehr interessante Fotos und die Heuschrecken sind fantastisch. Kann
    man diese etwa essen? In manchen Laendern werden diese „grubs“ gegessen
    Weiterhin gute Fahrt.
    Ciao Rainer

  5. Hallo Niko… wirklich interessant. Ich meine auch, dass die Fanta zu spät kam. Vieles in Deinem Bericht erinnert mich an Ghana… die Hähne zu jeder Nachtzeit, die Händler die einem hinterherlaufen, die Freundlichkeit der Menschen die trotz Atmut teilen… einfach so vieles was gleich ist. Ja und Haare schneiden ist eine Kunst, auch das erinnert mich an ghana wo ich so manchem Pater die Haare getutz habe bis sie eingermaßen gut aussahen… die Frisur sieht aber gut aus, wenn auch nicht nur ein bisschen kürzer, da kann noch etwas aus Dir werden. Weiter Gottes Segen. Elisabeth

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