Schneefrei

 

Bestens vorbereitet sitze ich auf der Hütte. Die Taschen voller Essen für 9 Tage. Den GPS Track auf meinem Navigationsgerät programmiert. Die Wasserstellen eingeprägt. Die Stationen auf dem Weg auswendig. Ich friere etwas, so wie auch die anderen Touristen und so wie auch schon am Vortag. Die Hütte unbeheizt. Das Thermometer zeigt vier Grad im Gemeinschaftsraum. Das sind immerhin drei Grad mehr als im Schlafraum. An ein Weiterfahren ist heute nicht zu denken. Ich habe es versucht. So wie auch die Jeeps. Schon zwei Mal haben sie die Wagen beladen und sind ein paar Meter auf die Piste hinausgefahren, nur um einzusehen, dass man ohne zu sehen nicht fahren kann. Man sieht nur Weiß. Am Vortag habe ich, nach ein paar Tagen in San Pedro, bei trockenem Wetter problemlos die bolivianische Grenze überquert. Habe als Radfahrer ein Visum für 90 Tage anstatt der sonst üblichen 30 bekommen und bin schon auf der kurzen Strecke zwischen Grenze und Hütte unzählige Male aus vorbeifahrenden Jeeps heraus fotografiert worden. Bin dann zur Akklimatisierung ohne Gepäck um die beiden Seen Laguna Blanca und Laguna Verde herum gefahren. P1380132Heute sollte es dann so richtig losgehen. Der Sturm des Vortages, der noch bis tief in die Nacht laut um das Haus pfiff, hatte sich gelegt und im halbdunkeln bin ich pünktlich aufgestanden, habe mich angezogen und die Sachen gepackt. Gerade wollte ich mein Frühstück bereiten und schaue aus dem Fenster. Das gibt es doch nicht! Draußen ist alles weiß. Über Nacht hatte sich eine dicke Schneedecke über die Hügel und Lagunen gelegt und noch immer fielen Flocken vom Himmel. Mir war klar, dass ich nun viel Zeit zum Frühstücken hatte und den Tag ganz ruhig angehen konnte. Langsam krochen auch die anderen Hüttenbewohner aus ihren Betten und schauten genauso verdutzt in die Landschaft wie ich es vorher getan hatte. Wir saßen fest. Einzig das brasilianische Pärchen war ganz aus dem Häuschen. Sie hatten vorher noch nie Schnee gesehen und so verbrachten sie viel Zeit damit sich voller Faszination die Schneeflocken auf Hände und Gesicht fallen zu lassen. Zum Aufwärmen und zum Zeitvertreib initiierte ich eine Schneeballschlacht, an der sich alle beteiligten. Selbst der Hüttenwirt und die Grenzsoldaten waren mit Begeisterung dabei. Als gegen Nachmittag die Sonne für kurze Zeit rauskam brach plötzlich Hektik los. Die Jeepfahrer wollten doch nochmal einen Versuch starten hier wegzukommen. Ich überlegte kurz und bat dann einen Wagen mich mitsamt Gepäck und Fahrrad die 45 km zur nächsten Hütte mitzunehmen. Wenn ich schon im Schnee festsitze, dann doch lieber auf einer Hütte, die eine heiße Quelle vor der Haustür hat, dachte ich mir. Die ersten 20 km kamen wir gut vorwärts. Dann hüllten uns dichte Wolken wieder ein, die Sicht sank gegen Null und im Schritttempo tastete sich der Fahrer meines Jeeps vorwärts um nicht von der Straße abzukommen. Als wir endlich die Hütte erreichten sah ich ein, dass unter diesen Bedingungen überhaupt nicht absehbar war wie lange ich hier eingeschneit und ab wann die Piste wieder befahrbar sein würde. Natürlich wäre es ein Abenteuer gewesen. Vielleicht hätte ich es auch irgendwie geschafft mich durchzuschlagen, aber manchmal muss man eben auch die Vernunft siegen lassen. Auch wenn es schwer fällt. So bat ich meinen Fahrer mich bis ins nächste Dorf mitzunehmen. Hier zu bleiben machte keinen Sinn. Wir fuhren nach Nord-Osten aus den Bergen hinaus und erstaunlich schnell wurde die Schneedecke dünner und die Sicht klarer. Bei einer Herberge, zu der auch die anderen Jeeps gefahren waren setzte mich mein Fahrer ab. Hier traf ich auch die zwei Schweizer vom Vortag wieder und netterweise wurde ich von ihrer Köchin, die zur Ausstattung bei Jeeptouren dazu gehört, mit Tee, Abendessen und Frühstück mitversorgt. Die Fahrer fuhren am späten Abend nochmal los. Einer der Jeeps war nicht angekommen.

Frisch gestärkt und mit Tipps für Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke fuhr ich am nächsten Morgen wieder alleine weiter. P1380090Vorbei am „Verlorenen Kamel“ und weiteren Felsformationen, die zum Klettern einluden, durch herrliche Altiplanolandschaft mit Lagunen, Lamas und Flamingos, auf mal besseren, mal schlechteren Sand- und Schotterstraßen. Das Fahren in dieser kargen, schroff schönen Landschaft macht unglaublichen Spaß. Kurz vor meinem Etappenziel überholte mich noch ein Holländer auf einem Motorrad. Selbs er hatte mit seiner Offroad Maschine keine Chance und kam nur mit Hilfe eines Jeeps aus einer verfahrenen Situation heraus. Dies bestärkte mich in meiner Meinung, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Am Abend übernachteten wir in der selben Herberge und tauschten unzählige Reisegeschichten aus. Er war auf der gleichen Route unterwegs und so gab es reichlich Gesprächsstoff. Auf in weiten Teilen guter, festgefahrener Lehmpiste ging es für mich an zwei Tagen über San Cristobal, wo ich mit ein paar Franzosen das EM Finale sah, nach Uyuni. Gegen Ende wurde die Landschaft etwas trostloser, dafür faszinierten mich die Luftspiegelungen, die Seen in der trockenen Wüste vortäuschten und Berge wie Raumschiffe in der Landschaft schweben ließen. Kurz vor dem Ortseingang besichtigte ich noch den berühmten Friedhof der Eisenbahnen. Ein Feld, auf dem alte Locks langsam vor sich hinrosten. Etwas bizarr, aber irgendwie auch ein bisschen wie ein Schrottplatz und so bleibe ich nicht übermäßig lange.

Bolivien hat bei mir bisher einen sehr positiven Eindruck hinterlassen. Man sieht sehr viele Frauen in traditioneller Kleidung und das Essen ist gut, reichhaltig und extrem günstig. In den nächsten Tagen werde ich die Städte Potosi und Sucre besichtigen. Mein Fahrrad bleibt in der Zeit in Uyuni. Im Anschluss geht es dann über den berühmten Salar weiter nach Norden in Richtung La Paz. Im nächsten Eintrag dann mehr zu Bolivien. Bis dahin wie gewohnt im Anschluss ein paar Bilder (41) inklusive ein paar Ansichten aus der Atacamawüste in der Umgebung von San Pedro, von wo ich mit dem Fahrrad auf einer Tagestour ein bisschen die Gegend erkundet habe. Viel Spaß!

 

7 thoughts on “Schneefrei”

  1. Nico, Hut ab vor deiner Leistung. Vor ein paar Monaten waren wir mit dem Jeep dort unterwegs und hatten ab und zu Mühe auf der Strasse zu bleiben, da die Strassen nicht wirklich gut sind. Und du machst das mit dem Fahrrad. Gratulation!!!
    Grüsse aus der Schweiz
    Michi und Pia

  2. … und viele deiner Bilder mal wieder unfassbar schön!

  3. Niko, ich bewundere Denen Mut, ich kenne solche Pisten aber mit dem Pick-up… mit dem Fahrrad, na da kann ich nur sagen CONGRAS!!! und die Bilder mal wieder ganz sagenhaft schön. Weiterhin gute Fahrt und bleib nicht im Salz stecken, aber das soll ja konservieren..

  4. Hi Niko – du bist ja ein toller Alpinist. Unglaublich! Solche Fahrten werden
    so manchmal von den Anden beschrieben. Ein Glueck dass du aus dieser
    einsamen Schneewelt entkommen bist. Gute Weiterfahrt – toi-toi!
    Ciao, Rainer.

  5. Wahnsinn! Tolle Fotos und eine abgefahrene mentale und körperliche Leistung.

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