Alkohol und Dynamit

 

Auf den ersten Blick keine gute Kombination. Neben Kokablättern und Zigaretten aber Teil der empfohlenen Geschenke für die Bergleute. Auf meinem Städtetrip besuchte ich als erstes die Stadt Potosi, einst eine der größten Städte der Welt, mitten in den bolivianischen Anden. Aufgestiegen und groß geworden durch unermessliche Silberfunde am Cerro Rico – dem reichen Berg. Anfangs waren es die spanischen Konquistadoren, die unter unmenschlichen Bedingungen das Silber des Berges fördern ließen. Vorkommen so reichhaltig, dass der Silberpreis weltweit abstürzte und Spanien für lange Zeit die Hälfte seiner Ausgaben damit bestreiten konnte. Vorkommen so reichhaltig, dass zu Festtagen ganze Straßenzüge mit Silberbarren gepflastert worden sein sollen. Vorkommen so reichhaltig, dass zusätzlich zu den versklavten Indios noch afrikanische Sklaven eingeführt werden mussten um all das Silber hinausschaffen zu können. Heute sind es die Bolivianer selbst, die sich und ihren Körper ausbeuten, um dem Berg die letzten Reste Edelmetall abzuringen. Für die Spanier wurde der Abbau schon Ende des 18. Jahrhunderts uninteressant. Ich entschied mich also für Dynamit und eine Tüte Kokablätter als Mitbringsel. Das konnte ich unter ethischen Gesichtspunkten besser verantworten als Alkohol oder Zigaretten. Freilich – tödlich ist am Ende alles davon. Jedes auf seine Weise – von den Kokablättern einmal abgesehen. Mit jeder Sprengung wird der Berg instabiler. Niemand weiß genau wo und wie die Gänge verlaufen. Pläne gibt es keine mehr, seit die Kooperativen das Geschäft vom Staat übernommen haben. Der gesamte Berg gilt als instabil und kann jeder Zeit in sich zusammenstürzen. Die Arbeiter wissen um das Risiko – und trotzdem gehen jeden Tag aufs Neue 12 000 Männer in den Berg. Es bleibt ihnen keine andere Wahl. Sie sind auf die wenigen Pesos angewiesen, die sie als Tageslohn am Ende ausbezahlt bekommen. Ein Lohn, der für 8 Stunden schwerste und gefährliche Arbeit geringer ist als das, was jeder von uns Touristen als Preis für die 3 stündige Führung bezahlt hat. Man mag das abstoßend oder zumindest für ethisch fragwürdig halten. Ein interessanter Einblick in eine Arbeitswelt, die in diesem Land leider für viele Realität ist, ist es aber allemal. Die Tour startet auf dem Markt der Minenarbeiter. P1010433Jeder der hier nicht im Voraus schon Dynamit oder ähnliche Geschenke gekauft hat, bekommt jetzt nochmal die Gelegenheit dazu. Gleichzeitig bekommen wir hier die erste Einführung in das Sprenghandwerk. Wie muss das Loch gebohrt, wie die Sprengladung präpariert und eingebracht werden – inklusive eines Hands -on Teil. Danach geht ein Fläschchen mit 96% igem Alkohol rund. Jeder Teilnehmer verschüttet ein paar Schlucke auf den Boden zu ehren Patchamamas, der Göttin der Welt, und bittet um ihren Segen, Geld, Gesundheit oder was auch immer einem wichtig ist. Für jeden Wunsch einen Schluck für Patchamama. Der letzte Schluck für einen selbst. Kein Teilnehmer kann bei dem brennenden Geschmack des billigen Alkohols ein neutrales Gesicht behalten, aber jeder macht dieses Ritual mit. Kaum vorstellbar, dass die Arbeiter diesen Fusel auf Zuckerrohrbasis tatsächlich trinken. Meistens allerdings wird dieser noch mit Süßgetränken oder Saft vermischt um ihn genießbar zu machen. Zweiter Stopp dann eine sogenannte Raffinerie, in der die Edelmetalle aus den Erzen herausgelöst werden. Leider ist sie, wie viele andere auch, vorübergehend still gelegt, da sich der Betrieb bei derzeitigem Stand der Metallpreise auf dem Weltmarkt kaum mehr lohnt. Einfache Maschinen stehen in dem kleinen Raum. Offene Becken, an denen mit verschiedenen Chemikalien das Metall herausgelöst wird. Ich denke dabei an die Führung in der Casa de Moneda am Vortag. Lange Zeit Produktions- und Verarbeitungsstätte von Silber in der Kolonialzeit. Auch hier wurde offen mit Chemikalien wie Quecksilber hantiert um Edelmetalle aus dem Erz zu lösen. Natürlich ohne entsprechende Schutzausrüstung, was zu einem relativ schnellen Tod der Arbeiter führte. Im Schnitt erwartete jeden nach 3-4 Monaten ein qualvolles Ende. Insgesamt werden die Opfer in der Zeit der spanischen Ausbeutung im Berg und in den Raffinerien auf 8 000 000 geschätzt. Auch wenn die Bedingungen in der Raffinerie heute vermutlich andere sind, so ist doch anzunehmen, dass an den offenen Chemiebecken eine erhebliche Belastung für die Gesundheit der Arbeiter besteht und auch heute Schutzmaßnahmen nach internationalen Standards in diesen Einrichtungen nicht zur Anwendung kommen.

Es klebt also schon immer Blut an dem Silber aus Potosi. Von Anfang 1550 bis heute. Denn noch immer fordert der Berg seine Opfer. 14 Menschen lassen im Schnitt ihr Leben im Berg – pro Monat. Wer nicht durch Steinschlag, Vergiftung, Sprengunfall oder Sauerstoffmangel zu Tode kommt, der hat eine Lebenserwartung von ca. 45 – 55Jahren. Spätestens dann ist die Lunge durch Arsen und Silikose zerstört, geht der Mensch qualvoll zu Grunde. Man hustet Blut, röchelt, ringt um Luft – bis einem keine Luft mehr bleibt. Vor diesem Hintergrund brechen wir mit etwas mulmigem Gefühl zu diesem fast makabren TourismusprogramP1010432m auf. In Arbeitermontur mit Helm und Stirnlampe und mit einfachen OP- Masken geschützt fahren wir in den Berg ein. Zu Fuß. Den gleichen Weg, den auch die Arbeiter zu jedem Schichtbeginn gehen. Und schon direkt am Anfang merkt man, dass eine solche Tour in Europa oder in den USA in dieser Form nicht möglich wäre. Laut ratternd und mit hoher Geschwindigkeit kommt uns eine bis obenhin mit Steinen beladene Lore entgegen. Wir drängen uns an die Felswände des Stollens um nicht angefahren zu werden. Einmal in Fahrt rollt der knapp 2000 kg schwere Wagen und ist nur schwer zu stoppen. Weiter, immer tiefer hinein dringen wir in den Berg. Die Luft wird wärmer und Schwaden stechenden Ammoniakgeruchs wabern durch die Gänge. Das Atmen durch die Maske fällt schwer, die Luft ist staubig und keinem in der Gruppe ist so richtig wohl, als wir in einem schmalen Seitenstollen in gebückter Haltung über loses Geröll im 45 Grad Winkel steil ansteigen. Die Wände sind glitschig von feuchtem Gesteinstaub und bieten kaum Halt. Immer wieder muss ich die Maske kurz abnehmen um Luft zu bekommen. Weiter über einen 10 cm breiten Balken balancierend, dabei bloß nicht abrutschen, denn das würde bedeuten 15 Meter hinab zu stürzen, dringen wir einzeln zu zwei völlig von Staub bedeckten Arbeitern, Vater (35) und Sohn (15), vor, die gerade dabei sind Löcher für die nächste Sprengung zu bohren. Meine 10 Stangen Dynamit kommen da gerade gelegen. Doch vielmehr denke ich, wie unzumutbar diese Arbeitsbedingungen sind, wo zwei Menschen am Ende eines langen, schmalen, stickigen Ganges in einem Loch kauern, das kaum groß genug für beide ist, völlig von Staub umhüllt und schwerste körperliche Arbeit verrichten, wo manche Teilnehmer(innen) unserer Gruppe überlegen, ob sie die Tour überhaupt bis zum Ende durchstehen. Immerhin hatten die beiden einen Presslufthammer. Wer sich diesen nicht leisten kann arbeitet mit Hammer und Meißel. Schlag – viertel Drehung – Schlag – viertel Drehung. Schlag für Schlag – bis das Loch tief genug ist. Auf dem Rückweg aus dem Berg gehen wir noch bei Tio – dem Teufel des Berges vorbei, der mit Alkohol und Zigaretten stets bei Laune gehalten werden will, damit er die Ausbeutung der Schätze, die es hier eigentlich schon lange nicht mehr gibt, duldet. Zur Sicherheit gibt es aber auch noch eine kleine Kapelle im Berg mit einem gekreuzigten Jesus darin, bei dem man ebenfalls um Schutz bittet und der sich auch über Alkohol zu freuen scheint. Sicher ist sicher. Alle sind froh endlich wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen, die Lunge wieder mit frischer, kühler Luft füllen zu können und die Sonne auf der Haut zu spüren, als wir dem Berg entsteigen. Für uns nur ein Ausflug, ein Abenteuer, ein interessanter, vielleicht auch bedrückender Einblick. Für 12 000 Minenarbeiter, davon manche noch im Kindesalter, denn der jüngste den ich sah mag kaum älter als 10- 12 Jahre gewesen sein- tägliche Realität. Sie entsteigen dem Berg nicht mehr – sie borgen sich die freien Stunden nur – in einem Leben, das dem Berg gehört.

Schnitt

Cut- wie findet man nach so einem Bericht nun die Überleitung zur nächsten Station, welche so anders sein soll als die Minenarbeiterstadt Potosi. Mit dem Taxi geht es am schnellsten. Der Fahrpreis 25 Euro für 140 km. Zu dritt steigen wir ein und nach mehrmaligem Bergauf und Bergab komme ich mit einer US- Amerikanerin und einem Franzosen, die auch schon bei der Bergwerksführung mit dabei waren, in Sucre an. Sucre ist Boliviens Hauptstadt und für ihre gut erhaltenen Kolonialbauten berühmt. IMG_20160715_212644Und tatsächlich macht die Stadt auf mich einen sehr freundlichen Eindruck. Alle Häuser sind weiß gestrichen, besitzen Balkone und Erker, Holztüren sind mit Schnitzereien oder Ornamenten verziert, die Straßen sind sauber und das Klima ist ganzjährig angenehm. Überall finden sich hübsch angelegte und gut gepflegte, Palmen gesäumte Plätze, die zum verweilen einladen. Sicherlich eine der schöneren südamerikanischen Städte, auch wenn das historische Zentrum relativ schnell abgelaufen ist und dann nur noch ein paar Museen zur kolonialen Geschichte oder zum indigenen Kunsthandwerk zu besichtigen bleiben. All das kann aber auch hier nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bolivien ein extrem armes Land ist. Kinderarbeit ist allgegenwärtig. Ob als Schuhputzer, Eis oder Süßigkeitenverkäufer. Ja selbst die kleinsten leisten ihren Beitrag, wo sie mit Kreide einfache Bilder auf die Wege malen, in der Hoffnung von einem Touristen ein paar Münzen in die Büchse gesteckt zu bekommen, denn die Familien brauchen das Geld. Schockierend ist dies für mich aber nicht. Kinderarbeit gehört hier ganz einfach zum Straßenbild und ist gesellschaftlich nicht nur geduldet oder akzeptiert, sondern ist gesetzlich verankerte gesellschaftliche Normalität und wird daher auch vermutlich noch nicht einmal von den Betroffenen als schlimm empfunden, obwohl diese natürlich mit Sicherheit ein anderes Leben wählen würden, wenn sie es könnten. Als Europäer aber hier mit dem erhobenen Zeigefinger durch das Land zu gehen ohne die nötige Innensicht zu haben, wäre sicher vermessen.

Soweit also die ersten Eindrücke von Bolivien. Mit dem Bus fahre ich zurück nach Uyuni. Rauf aufs Rad und raus auf den Salar de Uyuni. Mit 140 km Länge und 110 km Breite die größte Salzfläche der Erde und vermutlich weltweit größte Lithiumlagerstätte. Gleißende, unendlich weite weiße Fläche. Nur in der Ferne sind klein die umgebenden Berge zu erkennen. Vorwärtskommen ist nur auf dem Tacho zu bemerken. Wie gefrorener Schnee brechen knarzend die Salzkristalle unter meinen Reifen, walze ich die Ränder der vieleckigen Salzplatten flach. Während tagsüber Unmengen von Touristenjeeps über den Salar jagen, hat man abends die Salzwüste komplett für sich allein. Ist die schiere Größe dieser Fläche tags nur beeindruckend, entfaltet sich abends beim Dunkelwerden, wenn die Sonne langsam golden im weißen Salzmeer versinkt, ein ganz besonderer Zauber. Da steht mitten auf dieser riesen Fläche ein kleines Zelt.P1380295 Das endlose Weiß reflektiert das letzte Licht der Sonne und später das helle Neonweiß des Vollmonds. Ringsherum Stille. Ich gehe noch ein paar Schritte spazieren. Ich bin völlig alleine auf dem See. Ein ganz besonderes Gefühl. Ruhig. Friedlich. Frei. Am nächsten Tag erreiche ich die kakteenbewachsene Insel Incahuasi, treffe wieder auf Horden von Touristen, verbringe eine zweite Nacht auf dem Salar und verlasse ihn am darauffolgenden Morgen über das Nordende, nicht ohne vorher noch die obligatorischen Fotos gemacht zu haben. Aus irgendeinem Grund meinen alle Touristen hier Sprungfotos machen zu müssen, obwohl die wenigsten dabei erkennbar vom Boden abheben. Wer halbwegs sportlich ist zeigt einen Handstand. Witziger sind da schon die Perspektivenfotos, die alleine allerdings schwierig zu realisieren sind. 40 km sind es jetzt noch bis Salinas. Doch bevor ich dort wieder auf Asphalt treffe, präsentiert Bolivien nochmal das Beste, was es an Hinterlandpisten zu bieten hat: Große Wackersteine, tiefe Sandpisten und Waschbrett, aber landschaftlich noch recht reizvoll. Ab Salinas geht es dann auf nagelneuem Asphalt nach La Paz. Die Landschaft nun langweilige, trockene Hochebene, gesäumt von kahlen, glatt sandigen Hügeln mit Büschelgras und immer wieder einfachste Lehmhütten mit Gras gedeckt. Ein paar Bauern bringen mühevoll von Hand die letzte Quinoa Ernte ein, die sie dem sandig staubigen Boden abringen und die kaum reicht die Familie von dem Ertrag zu ernähren. Selber geht es mir hier bestens. Jeden Tag esse ich warm zu Mittag. Einen großen Teller Suppe mit Einlage und dazu meist Hühnchengerichte mit Gemüse, Reis und Pommes – gut sättigend und selten teurer als 1,50€. Als Gringo ist man hier selbst mit bescheidenem Wohlstand König, während weite Teile der Bevölkerung bitterarm sind. Meinen Wanderschuh lasse ich für 40 Cent reparieren. Die Nähmaschine wird mit einer Handkurbel betrieben. Arbeitszeit: 10 Minuten. Ich kann mich immer wieder nur wundern.

 

 

6 thoughts on “Alkohol und Dynamit”

  1. Wieder mal wirklich beeindruckend! Interessante und schockierende Einblicke in das Leben so weit weg von uns. In Nordamerika wird es bestimmt weniger interessant, dafür aber einfacher.

  2. Bedrückend und beeindruckend deine plastischen Schilderungen aus der Mine. und vom Alltag der Bolivianer! Führt wieder einmal mehr zur Erkenntnis, wie verdammt gut es uns hier geht geht!
    Und dazu im Kontrast wieder Landschaften mit Postkartenmotiven und im Video u.a. super Drohnenaufnahmen!

  3. Hallo erstmal! Ich bin Christian und bin nach ein bisschen Recherche auf deine Seite gestoßen. Ich bin nämlich gerade mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Atacama und möchte dann auch weiter nach Bolivien.
    Den Artikel finde ich sehr spannend geschrieben und er gibt wirklich einen guten Einblick! Die Luftaufnahmen sind mega! Danke für die Eindrücke das alles motiviert mich weiter zu machen 🙂 gute Fahrt noch und immer ne halbe Hand breit Luft unter der Felge! 😉

  4. Hello Niko – die Welt ist wirklich eine Reise wert und dein Abenteuer macht mich fast neidisch .
    Tolle Aufnahmen – aber auch viel Einsamkeit. Gute weiterfahr zum Titicaca See. Ciao Rainer

  5. Hey Niko.
    Bin nun endlich auch ein Follower:-)
    Ich bin immer wieder fasziniert von deinen tollen Bildern und Aufnahmen.
    Der Rainer hat`s geschrieben: Neid kommt auf..
    Lenni fliegt morgen nach Cocoa/Florida und kommt Dir ein wenig näher..
    Weiterhin gute Fahrt!!
    Viele Grüße, Thorben

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