Mate im LKW

 

Rio Grande- San Sebastian- Punta Arenas 100 km im Wind

4 Uhr morgens. Der schrille Ton des Handyweckers reißt mich viel zu früh aus dem ohnehin unruhigen Schlaf. Zumindest der Rücken freut sich der Hängemattenmatratze entsteigen zu können. Mein erster Gedanke ist: „Wäre ich dicker, hätte ich auf dem Bauch schlafen und so die Krümmung der Matratze ausgleichen können…“ Doch direkt kreisen die Gedanken um das eigentlich Thema: Wind! Hoffentlich hat sich das frühe Aufstehen gelohnt. Hoffentlich hat der Wind sich gelegt. Noch ein schnelles Frühstück, dass uns von der Herbergsleitung bereitgestellt wurde und um 5 Uhr mache ich mich mit einem 60 jährigen Holländer auf den Weg. Meine Schweizer Reisegefährten sind schon direkt am Vortag wieder aufgebrochen. Ich werde sie aber sicher im weiteren Verlauf der Reise nochmal treffen.

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Ausfahrt aus der Stadt mit Morgensonne im Rücken

Die ersten Kilometer in der Stadt gehen sich ganz gut an. Die Sonne schickt die ersten Strahlen und der Wind hält sich in Grenzen. Aber schon an der Stadtgrenze bläst uns ein gemäßigter Wind entgegen, der sich innerhalb von zwei Stunden wieder zu einem Starkwind auswächst. 25 km gegen den Wind, immer entlang der Küstenlinie. Konnte ich mich mit meinen Schweizer Freunden noch mit der Führungsarbeit abwechseln, so blieb die Arbeit heute komplett an mir hängen. Der Holländer hatte es sich in meinem Windschatten bequem gemacht. Als die Straße aber einen leichten Knick machte verlor ich meinen Kompagnon im Seitenwind. Straffer Seitenwind zwang mich weiter zur Straßenmitte zu fahren. Nur so konnte ich verhindern allzu oft auf dem kiesigen Seitenstreifen zu landen. Auch die Autos fuhren so automatisch langsamer an mir vorbei. Zum Glück war ich schwankende Gestalt auf der weiten Ebene schon aus großer Entfernung zu sehen.

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Ende des Asphalts

Weiter und weiter kämpfte ich mich durch den Wind bis zu einer großen Estanzia. Dort konnte ich an einen Zaun gelehnt, vor Wind geschützt, meine Mittagsrast verbringen. Noch ein kleines Nickerchen in der Sonne und auf zur Grenze. Die letzten 25 km. Nach 81,5 km war die argentinische Seite der Grenze erreicht. Ein Bier und ein zweites Mittagessen an der Tankstelle, nochmal kurz die Augen ausruhen im Wartebereich des Grenzgebäudes, Ausreisestempel holen und dann auf schlechtem Schotter, nun voll gegen den Wind noch 15 km bis zur chilenischen Grenzstation kämpfen. Fast 3 Stunden habe ich für diese 15 km gebraucht. Um 22 Uhr erledigte ich die Grenzformalitäten auf chilenischer Seite und baute im Windschutz der Grenzstation mein Zelt auf. Nach wenig Schlaf machte ich mich am nächsten Morgen wieder auf. Der Wind immer noch erbarmungslos von vorne. Der Straßenzustand lässt alles an meinem Fahrrad klappern und selbst ohne Wind wäre hier kein schnelles Vorwärtskommen möglich. Nur noch 45 km bis zu den Königspinguinen. Darauf habe ich mich schon lange gefreut. Das motiviert. Wind und Straßenverhältnisse zwingen mich aber ständig zum Abspringen um einen Sturz in den Straßengraben zu vermeiden. Unter diesen Bedingungen würde ich mindestens 10 Stunden zur Pinguinkolonie brauchen und es war schon 11 Uhr mittags. Von dort aus wären es dann nochmal 115 km Staub und Tristesse bis zur Fähre in Porvenir. Kein Haus, kein Strauch, kein Busch, kein Schutz für die Nacht und an zelten ist unter diesen Bedingungen nicht zu denken. Schweren Herzens stoppe ich einen LKW IMG_20160112_152303und bitte ihn mich in Richtung Punta Arenas mitzunehmen. Hui! Da zieht die Landschaft plötzlich an einem vorbei. Und schön warm ist es in der Fahrerkabine auch noch. Plötzlich Feuer neben mir! Der Fahrer hat auf einem Propanbrenner Wasser aufgesetzt. Er wollte mir unbedingt einen Matetee kochen. Ein traditionelles Getränk, dass hier überall getrunken wird. Im Geschmack leicht gewöhnungsbedürftig und etwas bitter. Mein erster Mate also. Leider fuhr der LKW nicht nach Punta Arenas, sondern zu einer anderen Fährstation, von wo aus es nochmal 130 km bis zur Stadt waren. An einer T- Kreuzung musste ich dann aussteigen, da mein Fahrer in die entgegengesetzte Richtung wollte. Vorher versuchte er noch von mir US Dollar im Tausch gegen argentinische Pesos zu bekommen. Aufgrund der kritischen Wirtschaftslage und der hohen Inflation in Argentinien verständlich, allerdings ein Handel, auf den ich mich nicht einließ. Etwas enttäuscht half er mir noch beim Abladen meines Rades und ich war wieder auf mich allein gestellt. 130 km und wieder brachialer Wind von schräg vorne. Also für ein paar Kilometer geschoben. Dann Daumen raus und per Pick Up Truck nach Punta Arenas. Das soll aber nicht zur Gewohnheit werden. Ab übermorgen wird wieder geradelt. Ich hoffe mein linker Fuß erholt sich bis dahin. Bei jedem Tritt schmerzt die Achillessehne leicht…

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6 thoughts on “Mate im LKW”

  1. Lieber Niko!
    Das himmlische Kind scheint sich ja zu einem wahrhaftigen Monster ausgewachsen zu haben, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, dir das Leben nicht gerade leicht zu machen… Ein harter Kampf und heftigster Anfang deiner Reise! Aber: wärest du sonst zu Matetee im LKW gekommen ? 😉 Wir wünschen dir ab jetzt wirklich bessere Bedingungen, weiter gutes Durchhaltevermögen, aber auch erholsame Pausen und – wenn schon Wind- dann nur noch den im Rücken…
    Wir freuen uns auf deine weiteren eindrucksvollen Berichte und Bilder, die du uns „couchpotatoes“ in die warme Stube lieferst! Pass gut auf dich auf!!!

  2. Hallo Niko,
    Blitzeisgrüße aus der Heimat! Denke oft an Dich und lese die Neuigkeiten. Weiterhin spannende Fahrt und tolle Begegnungen!
    Kuss
    Gabi und family

  3. Hallo Niko,
    eben aus dem Skiurlaub vom Ötztal zurück, lese ich deine spannenden und sehr eindrucksvollen Berichte mit tollen Bildern !!
    Irre, was du da erlebst!
    Weiterhin viele gute Erfahrungen. Pass gut auf dich auf,
    herzlichste Grüße
    von Moni aus Hattenhofen

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