Werd‘ ich zum Augenblicke sagen: “ Verweile doch! du bist so schön!…“

 

 

Tief schneiden die Riemen des Packsacks in die Schultern. Die Lowridertaschen schwingen im Rhythmus meiner Schritte leicht, aber stetig gegen die Oberschenkel, ähnlich einer perfiden Foltermethode immer an die gleiche Stelle tippend. Die Schmerzen nehmen in gleicher Weise zu, wie die Strecken zwischen den Pausen kürzer werden. Seit fast zwei Stunden trage ich nun mein Gepäck schon bergauf. Im ersten Dämmerlicht habe ich mich um 6 Uhr früh auf den beschwerlichen Weg in Richtung chilenischer Grenze gemacht, mental gut vorbereitet und entspannt nach herrlich schönen, vielleicht sogar den schönsten Tagen meiner bisherigen Reise.

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Sicht auf Fitz Roy vom ersten Nachtlager aus

Fünf Tage zuvor war ich bei gutem Wetter aus El Calafate aufgebrochen. In der Ferne konnte man schon die Spitze des 220 km entfernten Cerro Fitz Roy erkennen. Nach 120 km relativ unspektakulärer Fahrt durch die Steppe der argentinischen Pampa erreichte ich einen See, an dessen Ufern ich mein Nachtlager aufschlug. Nach erfrischendem Bad im See kam noch ein junges französisches Pärchen an, die ich zuvor schon auf dem Campingplatz in El Calafate getroffen hatte und die sich zufällig die gleiche Stelle für die Nacht ausgesucht hatten. Da wir uns gut verstanden, beschlossen wir am nächsten Tag gemeinsam die verbliebenen 100 km nach El Chaltén zu radeln. Trotz leichten Gegenwindes hatten wir großen Spaß. Es war wieder mal ein fantastischer Tag und das Ziel lag die ganze Fahrt über vor unseren Augen. Beeindruckend ragt der Gipfel

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Ortseingang von El Chaltén

des Fitzroy aus der Ebene, umgeben von Gletschern. Das glatte Asphaltband zielt geradewegs auf diese grandiose Kulisse hin. Welche Freude das Radfahren hier bereitete! Das Strahlen, dass sich auf mein Gesicht legte, sollte aber die gesamten nächsten Tage anhalten. El Chaltén ist ein kleines Dorf am Fuße des über 3400 m hohen Fitzroy und des Cerro Torre und lebt von der alljährlichen Invasion trekkingbegeisterter Touristen aus Europa und den USA. Bei nur mäßigem Wetter verbringe ich den ersten Tag im Dorf mit Kaffee trinken und langsamem Internet. Nach dem Abendessen steige ich dann noch auf zu einem Aussichtspunkt und verbringe dort eine knappe Stunde zum Sonnenuntergang. Ich bin begeistert. Die Wolken P1060984scheinen förmlich am Berg zu kleben und werden durch den Wind zu immer neuen Gebilden geformt. Die untergehende Sonne schafft eine mystische Stimmung mit langsam changierenden Farben von hellem Gelb über tiefes Orange bis hin zu lila-blau. Ich kann mich kaum losreißen, aber mit zunehmender Dunkelheit kommt auch die Kälte…

 

Am nächsten Morgen herrscht Kaiserwetter. Mit leichtem Tagesrucksack mache ich mich auf einen 9 km langen Treck (18 km Gesamt) zur Laguna Torre. Stetig läuft man auf den Cerro Torre, die markante, 3100 m hohe Felsnadel zu. Das Weiß-Blau des tiefreichenden Gletschers kontrastiert das leuchtende Grün der Bäume und die Wärme der Sonne mag so gar nicht zu den vergletscherten Gipfeln des Nationalparks passen.

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Blick auf Cerro Torre und Glaciar Grande

Ein Gefühl von Glückseligkeit durchströmt mich und ich versuche diesen herrlichen Anblick in mir aufzusaugen, festzuhalten, einzubrennen auf der Retina. Versuche dieses Glücksgefühl zu speichern, wohlwissend, dass dies nicht möglich sein wird, weil so etwas nicht möglich ist. Ich habe auf meinen bisherigen Reisen gelernt, dass man den Moment in seiner Flüchtigkeit leben und genießen muss, so wie er ist. Aber man kann ihn nicht bannen oder festhalten und selbst wenn es möglich wäre, so wäre man vermutlich enttäuscht, denn würde er wahrscheinlich, durch die ständige Verfügbarkeit, seinen Reiz verlieren. Es sind also vermutlich die unvorhersagbare und unerwartete Entstehung dieses Gefühls, und die nur kurzzeitige Verfügbarkeit, die einen solchen Moment so einzigartig machen. Trotzdem drehe ich mich auf dem Rückweg immer wieder nochmal zum Berg um, in der Hoffnung diesen Eindruck etwas länger bewahren zu können. Nach zweieinhalb Stunden Abstieg sitze ich wieder im Hotel des Vortags und lasse die schon langsam verblassenden Bilder des Tages mit einem tiefen Gefühl von Zufriedenheit, ohne jegliche Wehmut, bei Tee und herausragendem Blätterteiggebäck mit Blick auf den Cerro Fitz Roy nachklingen. Weitere schöne Ziele erwarten mich.

 

 

So viel Zeit muss sein…

 

Am darauffolgenden Tag verlasse ich das Dorf über die letzten Meter Asphalt, nicht ohne im Vorfeld nochmal einen großen Beutel Blätterteiggebäck eingekauft zu haben. Genau genommen ist mir leicht schlecht, weil ich den ersten Beutel direkt vor der Eingangstür der Bäckerei in einem Anfall von „Mann ist das lecker!“ aufgefuttert habe und dann gleich nochmal rein bin um einen zweiten Familienbeutel bei der verdutzten Bäckerin zu holen. P1000146Ich fahre immer tiefer hinein in den Nationalpark los Glaciares mit seiner oben beschriebenen Traumkulisse und auch der schlechte Schotter der Piste kann mir nichts anhaben. Ich bin einfach nach wie vor begeistert von der Umgebung! Nach 40 km und 4,5 h Fahrzeit erreiche ich den Bootsanleger des Lago Desierto eine knappe Stunde vor Abfahrt, löse mein Ticket und werde von den Carabinieros des Polizeiposten noch auf ein paar Becher Matetee eingeladen. Auf die Frage, ob es hier draußen überhaupt viel zu tun gäbe, entgegnete der Polizist, dass es recht ruhig zugehe, aber im Falle eines Waldbrandes es ganz gut sei, wenn jemand dies weitermelden könne. Aber wirklich gebrannt hat es hier eigentlich noch nicht oft. Das kleine Boot legt pünktlich ab und außer mir sind nur drei weitere Gäste an Bord. Nach einer halben Stunde verlangsamt sich unsere Fahrt plötzlich und das Boot gleitet langsam auf die Felswände am Rande des Sees zu. Der Grund für den unerwarteten Zwischenstopp? Der Kapitän, sein Begleiter und der Ticketverkäufer wollten angeln. So viel Zeit muss sein! Und sie waren auch prompt erfolgreich. Schon beim ersten Versuch war eine Forelle am Haken und eine Minute später zog der Kompagnon des Kapitäns schon die zweite an Bord. An einer zweiten Stelle waren wir dann nicht erfolgreich. Die dritte Stelle brachte wieder mehr Glück und so fragte ich, ob sie nicht einen Fisch für mich mitangeln wollten. Der vierte Fisch ließ aber länger auf sich warten und gerade als der Kapitän den Motor anwarf und losfuhr, hing der vierte Fisch am Haken. Bei der Ankunft am Ziel wurde mir dann mein Fisch mitgegeben und gerade als ich mein Fahrrad über den Steg an Land schob rief mir der Kapitän nach, ob ich noch einen zweiten Fisch bräuchte. Er hatte zum Spaß vom Deck aus nochmal die Angel ausgeworfen und prompt noch eine große, rotfleischige Forelle an Land gezogen. Was für ein Glückstag! Ich verbrachte den Rest des Tages mit schwimmen (nur gaaaanz kurz! Saukalt!), Zelt putzen und Fische ausnehmen. Da meine Pfanne zu klein war lieh ich mir kurzerhand von den Beamten

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Gourmetdiner – fangfrische Forelle mit Pasta Gorgonzola

des Grenzposten, in dessen unmittelbarer nähe ich am See campierte, noch eine Pfanne inkl. Öl aus, kaufte ihnen eine Flasche Bier ab und genoss mein Festmahl: Zwei fangfrische Fische mit Pasta in Gorgonzolasauce! Sooooooo lecker! Schön saftig lösten sich die Filets von den Gräten und die Haut war perfekt knusprig angebraten, so dass ich den Fisch komplett verspeiste und nur die Gräten und den Kopf übrig ließ! Habe ich dazu den herrlichen Ausblick über den See auf den Fitz Roy erwähnt?! So lässt es sich leben. Kurz kundschaftete ich noch den ersten Teil des Weges des nächsten Tages aus. Schnell war klar, dass dies ein reiner Wanderweg und für Fahrräder völlig ungeeignet sein würde. Das Fahrrad komplett mit Ausrüstung hier hinauf zu bekommen wäre ein komplett aussichtsloses Unterfangen gewesen, da besonders der erste Teil sehr steil und in sehr schlechtem Zustand war.

 

So befand ich mich nun also wieder auf dem Rückweg zum argentinischen Grenzposten. Die Taschen nach zwei Stunden Aufstieg am Wegesrand auf knapp der Hälfte des Strecke deponiert. Unten angekommen holte ich mir den Ausreisestempel und machte mich zum zweiten Mal auf den Weg. Diesmal mit Fahrrad und dem restlichen Gepäck. Durch tiefe, schmale Gräben, teils über knorzige, dicke Wurzeln, über Felsstufen und durch tiefen Morast kämpfte ich mich die insgesamt 6 km bis zur chilenischen Grenze. Teils das Fahrrad mit dem kompletten Gepäck beladen schiebend, dann aber wieder schimpfend, wenn die Taschen an Zweigen oder an in den Weg ragenden, spitzen Steinen hängen blieben, teils wieder die P1070239Gepäckstücke einzeln voraustragend, weil der Weg wieder zu schmal zu steil oder zu stufig wurde. Das alles und auch die Strapazen machten mir aber eigentlich nicht so viel aus, da ich im Vorfeld wusste, was mich erwarten würde und klar war, dass auch solche Momente eben nur flüchtig sind. Trotzdem war ich natürlich erleichtert nach etwas über 7 Stunden an der Grenze angekommen zu sein. Hier traf ich zufällig auf den einzigen Einheimischen, der auf dieser Seite des Sees wohnte und der gerade mit dem Auto hier oben war, weil er etwas nachschauen wollte. Er bot mir zum einen an mein Gepäck zur Fähre zu transportieren und zum anderen informierte er mich, dass um 15 Uhr noch ein anderes Boot abfahren würde, als die fast 20 Euro teurere, größere Fähre, die um 16:30 Uhr eingeplant war. Ohne diese Begegnung hätte ich hier oben meine Mittagsrast eingelegt und die 16:30 Uhr Überfahrt genommen. Zügig verlud ich also mein Gepäck in das Auto des Mannes und machte mich direkt an die 15 km Abfahrt. Heilfroh diese katastrophal schlechte Strecke nicht mit Gepäck fahren zu müssen, hatte das Ganze den Charakter einer Mountainbike Abfahrt, wobei ich mich dann zur Schonung des Materials doch immer wieder einbremsen musste. Das Fahrrad selbst fühlte sich trotz seiner 20 kg spritzig und leicht an und auch P1070324 (2)die kleineren Zwischenanstiege waren kein Problem und wurden mit Leichtigkeit überfahren. Schnell noch die Grenzformalitäten erledigt (10 Minuten, das ist hier schnell) kam ich 12 Minuten vor Abfahrt am Anleger an. Mein Gepäck war schon verladen und so bedankte ich mich nur schnell bei dem freundlichen Mann und bestieg das Boot, dass auch sogleich abfuhr. Sie hatten extra auf mich gewartet. An Bord genoss ich die 3,5h Fahrt auf dem „Sonnendeck“, aß meine Salami, die eigentlich für die Mittagsrast an der Grenze vorgesehen war, kochte mir zwischendurch einen Kaffee mit meinem Gaskocher und ließ mir dazu das letzte Blätterteigteilchen und ein paar Kekse schmecken. Rundum zufrieden lag ich danach in der Sonne, froh dieses Abenteuer geschafft zu haben. Gleichzeitig war damit der erste Teil meiner Reise in Südpatagonien abgeschlossen. Nun bin ich gespannt auf den nächsten Abschnitt: Die Carretera Austral in Chile!

 

8 thoughts on “Werd‘ ich zum Augenblicke sagen: “ Verweile doch! du bist so schön!…“”

  1. Hello Niko – ich reise mit Begeisterung mit dir.
    Ein tolles Abenteuer – und eine phantastische
    Welt – passe auf dass du nicht zu zuviel
    Gewicht verlierst. Es scheint mir trotz all
    der Begeisterung – eine Kur zum abmagern.
    Gute Weiterfahrt.
    Ciao, Rainer

    1. 😀 keine Angst. Ich esse hier unfassbare Mengen. Bis ich in San Francisco bin habe ich wahrscheinlich 2000 $ in Snickers und Co investiert. Dazu noch kiloweise Pasta und Reis und die ein oder andere Kuh wird bei mir ihre letzte Ruhe finden 😉 Ich habe eher Angst, dass ich dick werde, wenn ich so weitermache.

  2. Einfach toll und großartig. Niko was Du da erlebst ist einmalig und ist wol der Mühe wert. Die Bilder sind ja atemberaubend. Ich warte schon gespannt auf den nächsten Bericht. Wenn du zurück kommst kannst du ein Buch schreiben.
    elisabeth

  3. Einmal mehr ein faszinierender Bericht und atemberaubende Bilder von unbeschreiblich schöner Landschaft! Da wird der Urlaub für 2018 schon bald in Vorbereitung sein…

  4. …manche Bilder muss man sich einfach immer und immer wieder anschauen! Und Caspar David Friedrich hat definitiv seine Farbpalette für die Abendstimmung ausgeliehen…

  5. Hallo Exsquasher, viele liebe Grüße aus dem Matchpoint.
    Sehr tolle Bilder und ganz viel Spaß wünschen Leni und Galle.

    1. Hallo, vielen Dank. Habe zufällig vor kurzem auch an euch gedacht. Die Ostereier für zwischendurch muss ich hier selbst produzieren und einfärben kann ich sie auch nicht. Geschmacklich habe ich es aber mittlerweile ganz gut raus 😉

  6. On e of the Best places in the World! The South of argentina and Chile !

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