Kolumbien

Schnell! Schnell! Einsteigen! Einsteigen! Auf geht’s! Vamos! Fahren wir! Dabei habe ich gerade nur meine Hände an die außen am Bus angebrachten Haltestangen legen können. Mit beiden Beinen steP1420399he ich noch auf der Straße als der Bus schon losfährt. Da half nur ein beherzter Sprung hinauf auf die erste Treppenstufe, wenn ich noch mitfahren wollte. Es scheint, als haben die Busse hier keine Zeit zu verlieren und jeder Stop ist lästige Unterbrechung auf der Jagd nach einer neuen persönlichen Bestzeit auf der Strecke. Zu einem kompletten Stopp kommt der Bus nur, wenn mehr als zwei Leute an einer Haltestelle ein- oder aussteigen wollen. Ansonsten wird nur die Geschwindigkeit verringert, um ein sicheres in den Bus hinein oder aus dem Bus herausspringen zu gewährleisten. Klingt für europäische Ohren veilleicht ein bisschen riskant, macht aber tatsächlich Spaß und jeder hier ist es so gewohnt und findet nichts Schlimmes dabei. Ziel meiner Fahrt war das Monument „Mitad del Mundo“. Ein kleiner Park mit ein paar mehr oder weniger informativen Museen und Souveniershops und am allerwichtigsten: Dem Äquator, der nur hier verläuft! Könnte man meinen. Blöd nur, dass das Monument etwa 250 m zu weit südlich gebaut wurde. Das hält Touristen aber nicht davon ab, verblüfft an Experimenten teilzunehmen, die z.B. zeigen sollen, dass, aufgrund der konkurrierenden, entgegengesetzten Anziehungskräfte der Nord- und Südhalbkugel, genau auf der hier aufgemalten Äquatorlinie (wir erinnern uns: eigentlich ja gar nicht der tatsächliche Äquator), es nicht möglich ist, ein Ei auf einem Nagel auszubalancieren. Ähnliches Erstaunen löst die verschiedene Rotationsrichtung des abfließenden Wassers aus einem Becken auf der Nord- bzw. Südhalbkugel aus. Das ganze ist natürlich völliger Humbug oder wie es ein Bekannter (der motorradfahrende Holländer, dem ich nun schon 3 Mal begegnet bin) etwas derber ausgedrückt hat: “ Ich bin ein Mal auf der Südseite des Äquators auf die Toilette gegangen und ein Mal auf der Nordseite. Und wie zu erwarten war: Überall die selbe Scheiße.“

 

Während meiner Zeit in Quito bin ich in der Casa de Ciclistas, ca. 15 km außerhalb der Hauptstadt bei Santiago und seiner Familie untergekommen. Er stellt einen Platz zum Zelten zur Verfügung. Mit seinen Töchtern habe ich in einem Quitoer Club sehr vergnüglich Halloween gefeiert, was hier eher einer Karnevalsparty als einer Gruselparty glich und weil wir gemeinsam so viel Spaß hatten, ging es zwei Tage später in eine Salsa Bar. Entsprechend schwer fiel es wieder auf die Straße zu kommen, aber die Reise muss weiter gehen. So ist es immer und so ist es auch gut. Herzlich wurde ich von der gesamten Familie verabschiedet und saß nach fast einem Monat Pause wieder im Fahrradsattel. Kräftig auf und ab ging es zügig in Richtung Äquator.P1420422 Ein Mal kurz drüber, wieder zurück und dann endgültig, an einem anderen Äquatormonument entlang der Straße vorbei, zurück auf die Nordhalbkugel. Den Sommer glatt überspringend, wechsel ich vom Frühling in den Spätherbst. Merken tut man dies freilich nicht. Das Wetter war auf beiden Seiten des Äquators gleich, aber wenigstens die Sonne wandert nun wieder richtig herum über den Himmel. Anstatt im Norden entlang zu ziehen, wandert sie nun wieder in meinem Rücken um mich herum. Als eine der letzten Stationen in Ecuador besuchte ich in Otavalo noch den berühmten Markt mit seinen bunten Stoffen und Handwerkszeug. Auf den letzten Kilometern, hat Ecuador nochmal alles gegeben und mir alles abverlangt, mit ständigem Auf und AbP1420481. In der Hitze mit 5 Km/h am steilen Anstieg, mein Herz wild in meiner Brust hin und her hüpfend, so dass man auf meiner verschwitzten Brust nicht nur den Herzspitzenstoß sehen konnte, sondern gleich die ganze Bauchdecke rhythmisch zum Beben gebracht wurde. Ich war nach so einer langen Pause einfach nicht mehr gut in Form und die Belastung nicht mehr gewohnt, was sich auch in den Beinen bemerkbar machte. So kämpfte ich mich bis zur kolumbianischen Grenze. Nach langem Schlangestehen hatte ich den 9. Länderstempel auf meiner Reise im Pass, gönnte mir einen halben Pausentag in einem guten Hotel zu einem unfassbar guten Preis und radelte am nächsten Morgen bestens ausgeruht mit neuer Kraft los. Genaugenommen sauste ich die erste Stunde in eine zerklüftete, tiefe, leuchtend grüne Schlucht hinab, aus der es natürlich ohne ausgedehnte Talsohle unverzüglich wieder in den langen Gegenanstieg ging. Wenigstens die Form war zurück und ich fühlte mich wieder kräftig und hatte keinerlei Probleme mit der Bergradelei. In dieser Weise ging es stetig auf und ab bis ich das Tal um Cali erreichte, dem ich über 200 km folgen konnte. Die erste Nacht habe ich in einem touristenfreien Dorf verbracht, in dem ich als einziger Schokobrauner unter ausschließlich Schwarzen sofort aufgefallen bin. Abends auf der Straße war viel trubel, überall standen Mopeds herum und die einheimischen Frauen und Mädchen flanierten in knapper Kleidung die Hauptstraße entlang, während die Männder bei Kartenspiel und Domino vor den Kneipen saßen. Dem Treiben schaute ich eine ganze Zeit bei einem Bier und Salsamusik von einer Bar aus zu. Überhaupt ist die Region, mit Cali als Zentrum, der Hotspot der Salsamusik und des dazugehörigen, feurigen, international am weitesten verbreiteten lateinamerikanischen Tanzes. Aber nicht nur hier, sondern überall in Kolumbien, aus Bars und aus Privathäusern oder aus an Plätzen aufgebauten Lautsprechern dröhnen zu jeder Tageszeit diese mitreißenden, feurig exotisch klingenden Claverhythmen. Cali auslassend folgte ich nun diesem lieblichen Tal, immer wieder im Schatten von Bäumen, die ihr Blätterwerk von rechts und links, wie zu einem Märchentunnel formend über die Straße strecken, während am Straßenrand frische Früchte oder Getränke verkauft werden. Mittlerweile altbekannte Tropenfrüchte wie Mango, Banane, Papaya, Ananas und viele mehr werden hier natürlich auch angebaut.

Schon 60 km vor Talschluss verlasse ich dieses liebliche Tal um in die Kaffeeregion Kolumbiens hinauf zu fahren. Und es dauert nicht lange bis ich die ersten Kaffee Bäumchen entdecke. Auf der Suche nach einer Finka bei der man mal „ein bisschen gucken“ könnte, folge ich mehr durch Zufall einem kleinen Hinweisschild mit der Aufschrift „Finca del Café“. Was sich hier hinter dem großen Tor versteckte, war nicht nur ein bisschen gucken. Es war mal wieder ein Volltreffer! P1420499Inmitten grüner Kaffeeplantagen liegt diese alte Finka, liebevoll renoviert und mit rustikalem Charme zu einem kleinen Hotel mit 8 Zimmern, gehobener Einrichtung, großem Außenpool und Loungesitzgruppe hergerichtet. Dazu gibt es eine zweieinhalb bis dreistündige Führung durch die Plantage (ich hatte mal wieder das Glück einer exclusiven Privatführung). Nach dem Einkleiden mit Hut, Schal bzw. Poncho für die Frauen und Erntekorb um die Hüften beginnt die Einführung in die Pflanzung. Mit Sand abgedeckt entwickelt sich aus der Bohne innerhalb weniger Wochen der Setzling, der nach 18 Wochen ausgepflanzt werden kann. Nach weiteren 18 Monaten trägt das nun zum Bäumchen gewachsene Pflänzchen das erste Mal erntereife Früchte. In der nun 5 jährigen Nutzzeit wird diese Kaffeepflanze fortan zwei Mal jährlich abgeerntet, wobei lediglich ein durchschnittlicher Ertrag von 3,5 Kilo Kaffee pro Baum und Ernte abfällt. Bevor es dann zum Rundgang durch die eigentliche Plantage geht schauen wir uns noch das Trockenhaus an. Ein Gewächshaus, in dem die Bohnen auf Regalen für 5- 10 Tage zum Trocknen ausgebreitet werden. Aus 60 Kilo Kaffeekirschen gewinnt man am Ende ca. 12,5 Kilo getrocknete, exportfertige Kaffeebohnen. Aber nun auf zum Rundgang. Ein fast 2 Kilometer langer, liebevoll und mühsam angelegter Pfad führt vorbei an verschiedenen Kaffeepflanzen (ausschließlich Subtypen der Sorte Arabica werden hier angebaut) hinein in einen Urwald aus Bambus, P1420500_collageder von einem kleinen sprudelndem Bächlein durchzogen wird, wieder hinauf zu einem kleinen Aussichtsturm, von wo aus man die ganze Region mit ihren sanften Hügeln und grünen Bergen überblicken kann. Weiter, den gelegentlich von Tropenblumen gesäumten Weg entlang, über die Steilheit mancher Anbauhänge staunend, die bei dem häufigen Regen hier sicher rutschig und nicht einfach und ungefährlich zu bewirtschaften sind. Das ganze natürlich in Handarbeit – versteht sich. Nun musste auch ich arbeiten. Es galt möglichst viele reife Kaffeekirschen zu sammeln, die ich später im weiteren Verlauf der Führung noch brauchen würde. Die Erntehelfer werden hier pro gepflücktem Kilo bezahlt. Umgerechnet ca. 13 cent. Bei meiner Geschwindigkeit glaube ich nicht, dass ich über 2,50 € Tageslohn hinausgekommen wäre. Ein guter Pflücker kann am Tag (10-12h) bis zu 250 Kilo schaffen (ca.35 €). Im weiteren Verlauf der Führung erreichten wir ein Haus, wo ich mit einer kleinen Maschine, mit zwei gegenläufig rotierenden Walzen, das süßlich schmeckende Fruchtfleisch von der Mandel (der Kaffeebohne) trennen musste. In einm Becken fermentiert die Bohne dann für ca. 15 StuP1420524nden, bevor sie zum Trockenen ausgebreitet werden kann. Im Haus wartete eine Frau in traditioneller Kleidung auf uns. Ein lodernd, knisterndes Holzfeuer war in der Feuerstelle entfacht und in einer Pfanne wurden die getrockneten Bohnen geröstet, die einen herrlichen Duft nach frischem Kaffee verströmten. Meine Aufgabe war es nun wieder, die frisch gerösteten, noch heißen Bohnen zu mahlen. Mit heißem Wasser überbrüht, ergab das einen sehr leckeren, sanft schmeckenden Kaffee. So habe ich die komplette Kette von der Bohne über das zarte Pflänzlein bis hin zum kirschentragenden Bäumchen, von der Ernte bis zum fertigen Kaffee in der Tasse begleitet. Eine sehr gut gemachte Führung und Aufbereitung der Thematik und uneingeschränkt weiterzuempfehlen. (Besonders, wenn man wie ich das Glück hat, eine Privatführung mit ausreichend Zeit für Fotographien zu bekommen) Mittlerweile war es schon fast Abend geworden. So entschied ich die Nacht auf der Finka zu verbringen. Ging nochmal den Pfad für mich entlang und genoss die Ruhe zwischen den Kaffeebäumen und die grüne Idylle. Ich war der einzige Gast. Dazu wurde ich am Abend noch von der Besitzerin der Finca verpflegt und wir unterhielten uns länger über Kaffee, Tourismus und allerlei andere Themen. Nach einem erfrischendem Bad im Pool spät nachts, musste auch ich wohl oder übel ein bisschen Schlaf suchen, obwohl ich am liebsten die ganze Nacht auf den Loungemöbeln am Pool verbracht hätte. Problemlos hätte ich esP1420787 auch noch zwei weitere Tage hier ausgehalten, aber wie immer ruft die Straße… Richtung: Medellin. Erst noch weiter durch eine Kulisse wie aus der Kaffeewerbung. Mit steilen, grünen Hängen an denen Kaffee und Bananen angebaut werden. Dazwischen emsige Arbeiter mit Hut und fröhlichem Pfeifen auf den Lippen. Auf der Straße ein schwer bepackter, verschwitzter, tropfender Radfahrer, der stoisch in die Pedale tritt. Gut- zumindest dieser letzte Teil kommt in der Kaffeewerbung nie vor. Trotzdem schön durch diese Landschaft zu pedalen. Auf dem Weg entdeckte ich noch eine Kaffee verarbeitende Fabrik einer Kooperative (Zusammenschluss vieler Kleinbauern) und ließ natürlich die Gelegenheit nicht aus, mir noch schnell „im Vorbeifahren“ die industrielle Seite der Kaffeeproduktion anzuschauen. Im Prinzip alles bekannt wie im Kleinen, nur eben in einem großen Maßstab. Die Trocknung des Kaffees zum Beisspiel erfolt in großen Trommeln mit zusätzlicher Hitze und kann daher in 36 h realisiert werden anstatt der Trocknung „von Hand“, die 5-10 Tage benötigt, je nach Wetter. Die Kleinbauern liefern hier ihre Ernte ab und werden von der Kooperative zum Tagesbörsenpreis bezahlt, zuzüglich eines Aufschlags, je nach Zertifizierung und Nachfrage multipliziert mit einem qualitätsabhängigen Faktor. Die beste Qualität geht in den Export nach Europa und in die USA, niedrige Qualität bleibt im Land und wird dort zu Kaffee verarbeitet. Die Kooperative übernimmt die Sortierung und den Weiterverkauf. Am interessantesten aber war die Anzeigetafel, die die aktuellen Börsenpreise samt der Tagesaktuellen Aufschläge unter anderem auch für die bei uns bekannten Zertifizierungen „Fair Trade“ und „UTZ“ listete. Die Labels für fairen Handel. Wo jeder von uns im Supermarkt Gutes tun kann. Mit jedem Schluck Kaffee geht es der Welt ein bisschen besser. Ein fairer Schluck Kaffee, mit dem guten Gewissen, dass auch der Kleinbauer in Kolumbien, Äthiopien oder Indonesien ein besseres Leben führen kann, weil ich durch den großzügigen Preisaufschlag am Supermarktregal Gutes tue. Naiv. Aber für das Gewissen gut. Tatsächlich liegt der Aufschlag, den der Bauer von der Kooperative für seinen Kaffee bekommt, immer Abhängig von der Nachfrage, zwischen 0,1% – selten mehr als 3% (laut Aussage eines Mitarbeiters der Kooperative). Der deutliche Mehrpreis, den die Kunden in deutschen Supermärkten zu bezahlen bereit sind, in der Hoffnung, die Welt dadurch ein Stück weit besser, ein Stück weit fairer zu machen, kommt also überwiegend den großen Handelskonzernen zu Gute, die einen guten Teil des Mehrpreises als Gewinn einstreichen. Zum anderen Teil fließt er an Organisationen wie „Fairtrade“ oder „UTZ“, die für die Zertifizierung der Betriebe hohe, jährlich anfallende Zertifizierungsgebühren kassieren, wodurch die effektive Ausschüttung an die Kleinbauern eben nicht mehr hoch ausfallen kann. Im Gegenzug bieten die Organisationen zwar Fortbildungen zu Agrarthemen oder unterstützen Projekte z.B. auch mit Ausrüstung. Der genaue Gegenwert, im Vergleich zu den Kosten und gezahlten Beiträgen, ist dabei aber schwer zu erfassen. Am Ende ist wohl „fairer Handel“ auch nur ein Geschäft.P1020516_Ink_LI

Und schon bin ich wieder auf der Straße. Bald geht es tief hinab auf weit unter 1000 m, in ein tropisch, schwül warmes Tal, wo die herzförmigen Schlingpflanzen die Bäume überwuchern und wie Girlanden von diesen herabhängen. Eine Atmosphäre, die Wolkenbrüche produziert. Und ein eben solcher blieb dann auch nicht aus. Erst nur leichter Regen, dem ich aber nicht traute und daher meine komplette Regenmontur anzog, sie bei leichtem Abklingen aber sofort wieder von mir warf, denn es ist keine Freude in Plastikkleidung zu stecken, in einem Klima, wo jedes Kleidungsstück zu viel ist und bei dem man eigentlich nur aus reiner Höflichkeit und aus Anstand nicht nackt auf dem Rad sitzt. Doch leider zu früh. Kaum ausgezogen (wirklich nur die Regenmontur), öffneten sich die Himmelsschleusen richtig und innert Sekunden war ich klatsch nass. Da machte es auch keinen Sinn mehr die Regenkleidung anzuziehen und ich strampelte wie ein Weltmeister mit unglaublicher, mich selbst überraschender Geschwindigkeit durch die Wand aus Wasser. Es waren noch über 1,5 h bis zum Sonnenuntergang, aber man hatte das Gefühl, die Welt wollte vorher untergehen. Stockdunkel, über mir zucken die Blitze und knallt der Donner. Die Straße immer wieder von Sturzbächen überspült. Die von meinen Reifen aufgewirbelten Wassertropfen glänzten wie Diamanten im Licht meines Scheinwerfers. Eine Stunde dauerte dieses Wetter an. Nur die letzte Stunde konnte ich dann ohne Regen fahren und kam trotzdem noch triefend, lange nach Einbruch der Dunkelheit in meinem Hotel am Fuße des nächsten 45 km Anstieges an. Der nächste Tag brachte wieder Sonne und ich war froh über den Schatten, den die Bäume mir fast entlang der gesamten Strecke am Aufstieg spendeten. Hinter der Passhöhe mit über 2500 m lag im schmalen Talkessel nun die zweitgrößte Stadt Kolumbiens: Medellin. Die einst berüchtigte Stadt, nicht zuletzt wegen ihrer Drogenkartelle in aller Munde, ist heP1020532ute eine moderne Metropole mit nur durchschnittlicher Kriminalität. Angst braucht hier heute also niemand mehr zu haben. In einem guten Viertel habe ich das Glück gehabt, bei einem Kanadier ein Zimmer zu bekommen, den ich unterwegs getroffen und der mich eingeladen hatte. Mit eigenem Haustürschlüssel ausgestattet war es fast wie eine eigene Wohnung zu haben. Ich ging wann ich wollte, machte was ich wollte und kam zurück wann ich wollte. Letzteres war meistens sehr spät in der Nacht, da das Viertel wunderbare Ausgehmöglichkeiten nur ein paar Blocks die Straße hoch bot. So nahm ich ein paar Tanzstunden und erkundete im Anschluss noch die Bars und Clubs der Umgebung. Eine fröhliche Feierkultur und für jeden Geschmack ist etwas dabei. Nur getrunken wird hier, wie in ganz Kolumbien und vielen anderen Südamerikanischen Ländern auch, sehr gerne und vor allem viel. Trotzdem ein interessanter Einblick in das Nachtleben dieses feierfreudigen Volkes. Tagsüber erkundete ich ein wenig die Stadt, kam an einem Platz vorbei, wo eine, bei einem Bombenanschlag von Mitgliedern des berüchtigten Drogenkartells Pablo Escobars während eines Konzertes zerstörte Vogelbronze als Mahnmal stand. Daneben eine neue Figur, die zeigte, wie die alte vor dem Anschlag ausgesehen hatte. Ich fuhr mit der Seilbahn in die grünen Hänge hinauf und war fasziniert, wie sich die Stimmung schlagartig änderte. Von der lauten, trubeligen Stadt, innerhalb weniger Minuten Mitten hinein in eine stille, ruhige Landschaft aus Grün, die sich friedlich unter mir ausbreitete. Ansonsten ist Medellin nicht reich an klassischen Sehenswürdigkeiten, aber trotzdem habe ich die drei Tage hier als sehr angenehm empfunden und genossen.

Jetzt waren es nur noch 670 km bis nach Cartagena. Der Hafenstadt an der Karibik und letztes Ziel P1020541für mich auf dem Südamerikanischen Kontinent. Nochmal ging es aus Medellin heraus die Berge hinauf. Diesmal in einer Landschaft, die mehr an das Alpenvorland und das Allgäu erinnerte, als an die schroffen Anden, die ich in Bolivien und Peru erlebt hatte. Auch wenn es natürlich weiterhin anstrengend war, genoss ich die Fahrt durch diese Landschaft, wissend, dass es für mich die letzten 200 km Anden sein würden, die mich nun so lange auf über 14 000 km immer wieder begleitet hatten und die ich am Ende mit einer letzten langen Abfahrt endgültig hinter mir lassen würde. So ging ich die letzte Abfahrt fast ein bisschen wehmütig an. Nicht, dass ich die Berge wirklich lieb gewonnen hätte. Niemand fährt wirklich gerne bergauf. Das ist anstrengend und man kommt nicht vorwärts. Aber man gewöhnt sich an alles und die Ausblicke in der Berglandschaft belohnen immer wieder für die Strapazen. Und nicht zuletzt ist rückblickend ja alles nicht schlimm und was bleibt sind die schönen Erinnerungen. Das ist der Nostalgieeffekt. So vor mich hinsinnierend, kam ich unten am Fluss wieder in der rauen Realität an. Rechts und Links, V- Förmig immer noch die steilen Berge, dazwischen eingezwängt der braune Fluss, dem ich folgte. Entlang der Straße einfache Hütten, mal aus Ziegeln, mal aus Lehm und mal einfach aus Brettern zusammengenagelt. Viele Bewohner sitzen vor ihren Hütten mit Familie oder Freunden zusammen. Ein paar Männer und Burschen kommen mit dreckiger Kleidung und Machete am Gürtel von ihrer Arbeit als Tagelöhner zurück. Vielleicht mit ein paar Groschen, ein paar Pesos mehr in der Tasche, die wieder für ein Abendessen für die Familie reichen. Andere, viele, bieten Auto- und LKW Wäsche an. Da wird dann von Hand mit Eimer und Lappen der komplette LKW gewaschen, bis jedes kleinste Chromteil wieder glänzt, inklusive des Motors. Überhaupt ist ein P1420807sauberes Auto oder ein sauberer LKW in Kolumbien extrem wichtig. So scheint es in ganz Kolumbien auf dem Land zwischen den Städten fast die wichtigste Einnahmequelle zu sein, so häufig wird dieser Service angeboten. Viel verdient wird mit dieser Arbeit sicher nicht. Aber besonders hier unten in diesem engen Tal mit seinem feucht schwülen Klima, wo die Leute sich möglichst wenig bewegend vor ihren Hütten sitzen, macht das Bild mich besonders nachdenklich. Wird mir die Ausweglosigkeit aus einem solchen Leben besonders bewusst. Kinder wachsen hier in einem Umfeld ohne Anregungen zwischen ungebildeten Menschen auf, wo Eltern ihren Kindern keine wirkliche Perspektive bieten können. Wo alles, was die Kinder sehen, das selbe, triste Umfeld ist. Wo Kinder Abends noch in Schuluniform im Lokal der Eltern kehren oder nach der Schule mit Lappen und Eimer bei der Autowäsche helfen. Selbst, wenn ein Kind vielleicht das Potential hätte, wird es wohl selten einen anderen Weg beschreiten können. Bildung kostet Geld. Geld, dass die Eltern aufbringen müssen. Das sie bezahlen, für ein schlechtes öffentliches Schulsystem. Wo Schüler wenig lernen. Wie das junge Mädchen, dem ich bei den Englisch Hausaufgaben geholfen habe. Das aber auch nach mehreren Jahren Englischunterricht nicht zur Kommunikation in der Lage war. Ein Mädchen, das einen eigentlich recht aufgeweckten Eindruck auf mich machte, aber nur auswendig gelernte Sätze abspulen konnte, ohne zur Kommunikation fähig zu sein. Das sich freute, wenn ich auf ihre standardisierten Fragen antwortete, aber nicht erkannte, dass in der Antwort eine Gegenfrage enthalten war. Die mir dankbar war, dass ich einige Fehler in ihrem Heft korrigierte, die entweder falsch an der Tafel standen oder von ihr falsch übertragen wurden. Da fragt man sich natürlich, wie viel Hilfsprojekte, Vorzeigeprojekte bringen, die in Europa medial gerne als Erfolge dargestellt werden, wovon aber nur eine ganz geringe Zahl von Kindern profitiert. Ohne natürlich die Wichtigkeit solcher Bildungsprojekte in Frage zu stellen, wird einem nur bewusst, wie lang und beschwerlich dieser Weg noch ist, bevor ein nennenswerter Anteil der Bevölkerung erreicht wird und davon profitiert – besonders auf dem Land. In den Städten sieht die Situation etwas anders aus. Hier kumuliert sich mehr Wohlstand. Hier gibt es entsprechend auch mehr Möglichkeiten. Hier leben mehr besser augebildete Menschen, die ihre Kinder auch in anderer Weise fördern können. Hier wird der Kontrast zwischen den unterschiedlichen Lebensbedingungen und Chancen zwischen Landbevölkerung und Städtern, zwischen Armen und zumindest zu einem gewissen Grad Wohlhabenden, besonders deutlich. Natürlich ermuntere ich das Mädchen fleißig und mit viel Elan weiter zu lernen, da es für Ihre Zukunft sehr wichtig sei, wissend, dass die Chancen tendenziell gegen sie stehen.

Auch die letzten Hügel sind irgendwann P1420869überwunden und relativ flach, vorbei an großen Palmölplantagen und kleinen Fabriken, die Palmöl und seine Derivate produzieren, erreiche ich endlich Cartagena. Die letzten Kilometer auf diesem Kontinent sind geschafft. Ein schönes Gefühl – und doch nur Zwischenstation auf einem Weg, der mich noch deutlich weiter führen wird. Am 3. Dezember geht es mit Fahrrad und Gepäck auf ein kleines Segelboot, das mich nach Panama bringen wird. Bis dahin genieße ich noch die Zeit in dieser schönen Hafenstadt. Meiner letzten Station auf dem Südamerikanischen Kontinent.

Kolumbien hat mir, wie viele andere Länder auf meiner Reise, mal wieder sehr gut gefallen. Ich bin zwar immer wieder mal nass geworden, aber insgesamt hielt es sich doch in Grenzen. Meistens konnte ich mich irgendwo bei Kaffee unterstellen oder mal ganz neue Säfte ausprobieren. Wie z.B. den Saft, der aus Wein, eineme ganzen Wachtelei samt Schale, vergorener Fruchtpaste, Instant Fruchtteegranulat, Milch und Honig bestand. Ein zugegebnermaßen eher gewagter Trank, aber ich habe es überlebt. Apropos überlebt. Auch wenn viele Deutsche Kolumbien für ein gefährliches Land halten, habe ich mich immer sicher gefühlt. Besonders in den Bergen gibt es extrem viel Militärpräsenz und viele Polizeikontrollen. Ich war also auf der ganzen Fahrt bestens geschützt. Ach ja. Und ich glaube Weihnachten steht bald vor der Tür. In kurzer Hose und T-Shirt durch die klimatisierten Supermärkte laufend, höre ich aus den Lautsprechern oft Weihnachtslieder wie „Oh Tannenbaum“ und überall werden Licherketten und kitschige Weihnachtsdeko mit Schneemännern, Kunstschnee und Plastiktannenbäume verkauft. Bei Temperaturen um die 32 Grad eher befremdlich.

Meine Bilanz nachdem ich nun den gesamten Südamerikanischen Kontinent durchradelt habe:

15062 km, 117 Tausend Höhenmeter, davon 24 Tausend Höhenmeter in Kolumbien. Gesamtzeit im Sattel: 904 h 23 min. 9 Platte, ein Speichenbruch. 9 Länder. Ich habe alle Klimazonen bereist. Bin auf Meereshöhe und auf 5000 m über dem Meer Rad gefahren. Habe gesehen, wie Bananen, Ananas, Mango, Papaya, Zuckerrohr, Avocado, Artischocken, Reis, Kakao, Kaffee, Palmöl, Soya, Erdnüsse und noch so vieles mehr angebaut werden, was bei uns als exotisch gilt oder von dem viele Leute nicht genau wissen, wo es herkommt oder wo und wie es wächst. Habe Kulturgüter und Städte von Weltrang gesehen. Habe einen 6000er bestiegen, bin mit Hammerhaien und Mantarochen geschwommen. Habe Lava in einem Vulkankrater brodeln sehen und habe gegen Wind und Wetter gekämpft. Und ab und zu habe ich auch ein bisschen das Leben genossen. Die Aufzählung könnte ich ewig so fortsetzen, aber dies ist ja kein Abschlussbericht mit einer Zusammenfassung meiner Reise. Bis dahin ist noch Zeit und es kommt ja noch ein bisschen…

Daher bis dahin erstmal wieder wie immer viel Spaß mit den Schnappschüssen und Photographien zwischen Quito und Cartagena. Diesmal 71 an der Zahl.

P.S.: Wer gerne auch ein einmaliges Erlebnis auf einer wunderschönen, liebevoll hergerichteten Kaffee Finca verbringen möchte, findet Informationen dazu unter:

www.fincadelcafe.com

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Von mir persönlich getestet und mit dem Prädikat „Absolut lohnenswert!“ bewertet. 😉

Aber jetzt wirklich: Viel Spaß mit den Fotos!

10 thoughts on “Kolumbien”

  1. Eine beeindruckende Bilanz, unvorstellbare Leistung und so viele und intensive Erlebnisse, die der Normalbürger kaum in ein ganzes Leben packen kann… Und noch so viel mehr liegt vor dir! Herzlichen Glückwunsch vom heimischen Sofa…! Wir sind stolz auf dich!

  2. Hi Niko – ich kann dir nur gratulieren – und ich staune – du hast einen Continent erfahren (mit Rad und mit Verstand).
    Deine Berichte sind einmalig und total aktuel. Du wirst ja noch viel erleben. Die Voelker von Central America leben
    in aehnlicher Situation wie du sie beschreibst. Ich wuensche dir viel Spass in Panama und Costa Rica und „Merry
    Christmas“ mit deinen Eltern. Wenn ihr Zeit habt macht einen Ausflug nach Sarchi, wo heute noch einheimische
    Maler die traditionellen Ochsenkarren dekorieren, Nicht weit von San Jose.
    Gute Weiterfahrt – y que tengas mucha suerte!
    Ciao Rainer

  3. Lieber Nico,
    ich komme mir ganz klein vor im beschaulichen Zell u.A.
    Ich kann Dir auch nur gratulieren und ziehe den „Hut“ vor Deiner Leistung!!!
    Alles Gute weiterhin und bleib gesund.
    Servus Hanni (Chor Zell)

    1. Vielen Dank für die lieben Grüße!
      Es ist eine große Welt, aber mit jedem Kilometer wird sie ein bisschen kleiner…
      Viele Grüße aus Panama Stadt

  4. Hallo Niklaus,
    super Bericht!!!!!!!
    Liebe Grüsse aus der Schweiz
    Plinio
    P.S.: Zurzeit bin ich am Risotto kochen am Weihnachtsmarkt in Rapperswil. Es ist ziemlich kalt hier aber leider noch nicht genügend Schnee zum Ski-Fahren…

    1. Besten Dank! Das Risotto muss noch bis nächstes Jahr warten…
      Gutes Gelingen und frohe Weihnachten mit der Familie!

  5. Hello Nikolas,
    It was good to meet you today in Dominical. We hope you enjoyed Coco’s restaurant – what do you think about Costa Rican Ceviche? Or did you have the whole fried fish?
    We are VERY impressed with your story and your journey!!!
    Buen Viaje.
    PS
    When we go on our Round the World trip, we hope you will also visit our Blog 🙂

    1. Hi, thanks for the recommendation. I did try the Ceviche but there is nothing like the original from Peru. They were still good at Coco’s and the location at the beach was nice. If you send me the link to your blog I will gladly visit.

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