Im Herzen Zentralamerikas

 

Ich liege im warmen, dunklen Sand. Die Arme ausgebreitet. Die Sonne auf dem Bauch. Die Augen geschlossen. In den Ohren das Rauschen der sanft anbrandenden Wellen. Völlig entspannt. Nach links blickend liegen ein paar kleine, bunt bemalte Fischerboote friedlich am Strand. Nach rechts blickend, üben ein paar Fischerjungen das Surfen. Eine kleine Bucht an der Küste El Salvadors. La Perla. Die Perle- und ein kleines Juwel ist es, das sich Valerie und ihr Mann hier geschaffen haben. Das Franco- Kanadische Paar hat vor 8 Jahren ein Grundstück an diesem Strandabschnitt gekauft und ein Ferienhaus mit mehreren Zimmern errichtet, die sie in den 9 Monaten im Jahr, an denen sie nicht hier sind, gelegentlich an Feriengäste vermieten. Frühstück mit Blick über den Pool hinaus auf den Strand und das Meer. Mittagessen auf der erhöhten Veranda mit Palmwedeldach mit Blick über die Hängematte, die nach dem Mittagessen zur Siesta einlädt, hinaus auf den Strand und das Meer. Abendessen auf der Terrasse mit Blick hinaus auf das dunkle Meer, dessen Rauschen man hört und wo in der Ferne vereinzelt Lichter der Fischerboote am Horizont zu sehen sind. Ein kleines Paradies im „gefährlichsten Land der Welt“. Die zweite Nacht verbringe ich im Freien auf der Veranda am Strand, wo neben der Hängematte auch ein Bett steht. Die Hängematte wäre mir für die ganze Nacht nicht bequem genug. Das Einschlafen fällt allerdings auch im Bett schwer. Immer wieder schaue ich auf und an den Schatten der Palmwedel vorbei hinaus über den Strand aufs Meer, wo die Schaumkronen der Wellen hell im Mondlicht glänzen. So ein schöner, friedlicher Anblick. Irgendwann fallen mir aber doch die Augen zu. Das Rauschen der Wellen und das leise Zirpen der Zikaden im Ohr.

Nur eine Woche zuvor war ich in Nicaragua angekommen. Kaum über die Grenze war ich wieder in einer ganz anderen Welt. Es fuhren wieder Pferde- und Ochsenkarren, Motorrikschas und klapprige Fahrräder und am Straßenrand lag wieder viel Plastikmüll. Costa Rica war dagegen ein regelrechtes Musterland, wozu der devisenbringende Tourismus natürlich ein gutes Stück beiträgt. Erstaunlich modern dagegen und zu meiner Verwunderung der große Windpark entlang des Lago Nicaragua. Hunderte von Windkraftanlagen produzieren hier einen Großteil des Stroms für die Region- mitfinanziert zu einem großen Teil aus EU- Geldern, wie einer Tafel am Straßenrand zu entnehmen war. So führte die Straße relativ eben nach Granada. Kurz vorher traf ich noch eine Belgierin, die auf einem Tandem von Kanada aus soweit nach Süden fährt, wie sie in einem Jahr kommt. Dabei hat sie jeden Monat andere Mitfahrer und es ist nur noch ein Monat im Juni frei. Wer mitfahren will, muss sich also beeilen ;-D Natürlich habe auch ich einmal für ein paar hundert Meter das Tandemgefühl ausprobiert und muss sagen, dass das für mich wahrscheinlich eher nichts gewesen wäre. Es sei denn, vielleicht, auf dem vorderen Platz. Granada gilt als Koloniales Juwel Nicaraguas und hat auch einen ganz netten, überschaubaren und gut restaurierten Kern, rings um die Kathedrale mit vielen Restaurants und Hotels. Hinter vielen der bunten Fassaden und Türen warten dabei hübsche Innenhöfe, teils mit mehreren hintereinanderliegenden Innenhöfen mit Wasserspielen und Springbrunnen und hübschen Pflanzungen. Eine Oase der Ruhe nur eine Tür entfernt von dem hektischen Markttreiben der engen, manchmal auch stinkenden Gassen rings um das historische Zentrum, wo von gefälschter Markenkleidung über Elektronikartikel aller Art bis hin zu Töpfen und Küchengeräten alles Mögliche verkauft wird. Dazwischen die Garküchen und fliegenden, laut schreienden Loshändler. Ein paar Straßen weiter dann vom Zahn der Zeit schon deutlich angenagte Fassaden alter, bunter Häuser, wo Pferde in der Gasse grasen während daneben der Putz bröckelt und laut hupende Mototaxis vorbeirauschen. Der morbide Charme dieser Gassen und Häuser um das touristische Zentrum herum ist ein toller Kontrast zu den hergerichteten Häusern der Touristenmeile, wo Kutschenfahrer gelangweilt in der Sonne auf Kundschaft warten. Und vielleicht gerade deswegen gefällt mir dieser Ort, der mir erst gar nicht gefallen wollte, der sich aber neben dem Rummel um die Touristen nur ein paar Schritte weiter seine Authentizität bewahrt hat. Vielleicht braucht es manchmal eben einen zweiten Blick. Einen Blick wollte ich auch in den Krater des Vulkans Masaya werfen, der nur 30 km von der Stadt entfernt liegt. So verließ ich die Stadt nach zwei Ruhetagen, an denen ich den letzten Blogeintrag sowie zwei Videos fertig gestellt hatte (also nix mit faullenzen!) erst gegen Mittag und fuhr gemütlich bis zum Parkeingang zum Vulkan. Hier musste ich mein Fahrrad abstellen. Zugang nur mit eigenem, motorisierten Fahrzeug oder per Mitfahrgelegenheit für 3 Euro hoch zum Krater. Also erstmal gemütlich Kaffee gekocht und auf den Abend gewartet, denn im Dunkeln ist die Lava am schönsten. 15 Minuten dauerte die Fahrt auf der Ladefläche des Pick-Ups bis zum Kraterrand und dort hatte man dann nochmal 15 Minuten Zeit in die wallende, rot glühende Gesteinsmasse zu blicken. Der Aufsteigende Rauch wird vom Feuerschein glutrot gefärbt und ist weithin sichtbar. Hinter dem Vulkan färben die letzten Sonnenstrahlen der schon untergegangenen Sonne die Wolken in ein ebenso leuchtendes Orange. Ein toller Anblick und faszinierend dort unten in der Tiefe das heiße, flüssige Gestein, das tief aus dem Erdinnern kommt, wo es aufgeschmolzen wurde und nun wieder nach oben drückt, sehen zu können. Beeindruckend. Nach 15 Minuten ertönte dann die Trillerpfeife und alle, ohne Ausnahme, musste den Vulkanrand wieder verlassen. Unten angekommen gab es dann die tägliche Portion Spaghetti mit Fertigsauce aus dem Campingtopf. Danach stellte ich direkt neben dem Parkeingang mein Zelt auf und bettete mich zur Ruhe. Vorbei an der nahen Hauptstadt Managua und weiteren, perfekt geformten Vulkanen, die aus der ebenen Landschaft ragten, traf ich zur Mittagszeit zwei Holländerinnen, die gerade aus dem Bus ausstiegen und heute zu ihrer vierwöchigen Nicaraguarundfahrt aufbrachen. Nach einem kurzen Schwätzchen entschieden wir uns gemeinsam in dem kleinen Dorf zu Mittag zu essen. Das einzige „Restaurant“ hatte vier Tischchen und befand sich ziemlich in der Dorfmitte. In einem Holzfeuer standen zwei große, schwarzrußige, schwere Töpfe, in denen die Tagessuppe kochte, welche dann in großen Suppenschalen serviert wurde. Und zwar eine große Schüssel, die für eine kleine Familie gereicht hätte für jeden. Dabei fiel mein Blick hinaus auf die gepflasterte Straße, auf der gerade eine Großmutter auf ihrem Pferdepritschenwagen vorbeifuhr, neben ihr die Tochter, die ihr Kind stillte. Das ist es, was mir am Reisen mit dem Rad gefällt. Hier war sonst vermutlich noch so gut wie nie ein Tourist zu besuch und so isst man mit den Einheimischen zu günstigsten Preisen inmitten einer intakten Dorfidylle. Das die Menschen vermutlich ein sehr beschwerliches Leben führen, welches sie wahrscheinlich nicht zwingend „idyllisch“ nennen würden, ist mir klar. Trotzdem genieße ich diese authentischen Momente. Gemeinsam fuhren wir nach Leon, dem zweiten kolonialen Zentrum Nicaraguas mit einigen Kirchen und Plätzen, teilten uns für die Nacht ein Zimmer in der Jugendherberge und fuhren am nächsten Tag noch bis zum Mittag gemeinsam, bis sich unsere Wege trennten. Die beiden Mädels fuhren zum Strand, während ich den nächsten Vulkan umrundend in Richtung der Grenze nach Honduras fuhr. Die Grenzangelegenheiten zwischen Nicaragua und Honduras waren erfreulicherweise einmal sehr zügig erledigt und so erreichte ich Land Nummer 13. Hinter der Grenze gab es eine neue Einnahmequelle für die Kinder entlang der Strecke: Schlaglöcher! Die ganze Strecke war in bescheidenem Zustand und mit Schaufeln in der Hand schütteten die Kinder die größten Löcher mit Erde zu, in der Hoffnung dafür von den vorbeifahrenden, LKWs, Autos und Radfahrern ein paar Groschen zu bekommen. Die Strecke auf der Südroute in Richtung El Salvador war dabei nicht besonders erwähnenswert. Sehr trocken, ein paar Hügel und viel Müll entlang der Straße. Ochsenkarren und Kinder, die Müll sammeln. 1,5 Tage später dann die nächste Grenze. El Salvador und damit Land Nummer 14 lief am Grenzübergang genauso schnell und unkompliziert ab. Die Landschaft nun wieder etwas interessanter, kündigte sich doch in der Ferne wieder der nächste Vulkan in der Ebene an. Die Währung ist der Dollar und es gibt in den Städten, zu meiner Freude, alle großen amerikanischen Fast Food Ketten, wo ich mich mal wieder kräftig durchfuttere. Die Mischung aus Salz, Fett und Zucker ist einfach die perfekte Kombination, um das Belohnungszentrum im Gehirn in Hochstimmung zu versetzen. Mögen die Gesundheitsapostel zu Hause sagen, was sie wollen. Nicht der Hauptroute nach San Salvador folgend, biege ich ab in Richtung Küste. Es gibt hier auch immer wieder Stände mit mexikanischem Essen und ansonsten die allgegenwärtigen Popusas. Maismehlmasse mit Käse oder Fleisch und Tomaten gefüllt und auf der Pfanne gebraten. Sehr fettig, macht aber gut satt und ist spottbillig. Bevor ich meine Warmshowers – Host, Valerie erreiche, geht es nochmal kräftig, teils bis zu 200 Meter auf und ab über die Ausläufer der Berge, die hier bis ins Meer hineinreichen und die Küste in viele kleine Abschnitte mit ruhigen Buchten unterteilen.

Klatsch, klatsch, klatsch, klatsch, klatsch. Nach einer weiteren Tagesfahrt erreichte ich Guatemala, Land Nummer 15 und was wie Applaus klingt, sind nur die Frauenhände, die die allgegenwärtigen Maisfladen plattklatschen. Immer wieder wird auf den Maisteig zwischen den Handflächen geklatscht, bis dieser die gewünschte, je nach Region zwischen ca. 1 cm und 0,2 cm variierende Dicke hat. Die ca. 10 cm durchmessenden Maiskuchen werden dann auf einer Metallplatte im offenen Feuer gebacken. Maistortillas gibt es zu jedem Essen dazu, schmecken nach Reiswaffel, also nach Pappe, nur nicht so trocken und sind nur mit Sauce oder gemeinsam mit den ebenfalls obligatorisch zu jedem Essen gereichten braunen Bohnen genießbar. Vielleicht könnte man ja eine Prise Salz unter den Teig mischen? Na ja. Auf jeden Fall machen sie gut satt und Tortillas gibt es immer mehr als reichlich. Den Nachschlag lehne ich dann aber doch immer dankend ab und als beim letzten Essen gleich sage und schreibe 10 dieser Maisfladen mit einem Lächeln gegeben wurden, musste ich sogar drei Stück übrig lassen.

Aus dem Küstentiefland Guatemalas geht es auf gut ausgebauter Autobahn, vorbei an friedlich rauchenden Vulkankegeln kräftig nach oben in die über 1500 m hoch gelegene Hauptstadt. Hier wartet schon meine, nach dem unglücklichen Absturz in Ecuador nun reparierte Drohne auf mich, die am selben Tag ein paar Stunden vor mir hier eingetroffen ist. DHL macht es möglich und per Express sind das weniger als 48h Laufzeit von Tür zu Tür. Eine logistische, von Computern gesteuerte und weitestgehend vollautomatisierte Meisterleistung. Nur das fliegen gestaltet sich hier schwierig. Ständig sind Bäume oder Stromleitungen im Weg. Ich hoffe aber, wenigstens gelegentlich ein paar Luftaufnahmen anfertigen zu können. Guatemala Stadt ist nicht erwähnenswert und so fahre ich nach einem Tag Pause auch gleich wieder weiter. Auf 100 km hinab in das nächste trockene Tal. Unten angekommen schwenke ich den Lenker nach links und verlasse die verkehrsreiche Hauptstraße um wieder in die Berge abzubiegen. Über 2000 hm müssen nun wieder hinaufpedalt werden, erst durch trockenes Gebiet mit ebenso trockenen, kahlen Bäumchen, dann zunehmend durch dichtere Kiefernwälder, deren Ausdünstung in der heißen Sonne so toll an Urlaub erinnert. Immer wieder nehme ich tiefe Atemzüge um auch den letzten Nasenwinkel mit diesem Duft zu füllen. Auch der längste Berg ist irgendwann geschafft und wellig geht es weiter, die Landschaft wird immer grüner und die Wiesen saftiger. Nur wenige Kilometer weiter, auf der Rückseite eines Berges erreiche ich dann plötzlich dichte Bergnebelwälder. Im Reservatgebiet des Quetzal, des guatemaltekischen Nationalvogels, schlage ich mein Zelt auf einem Campingplatz mitten im Nebelwald auf. Von hier geht ein kurzer Wanderweg von 6 km steil, weiter den Berg hinauf und noch tiefer hinein in den Wald. Orchideen, Bromelien und Schlingpflanzen überwuchern die Bäume und immer wieder plätschern kleine Bächlein den Berg hinab, während Nebelschwaden und Wolken zwischen den Stämmen wabern und allmählich den Berg hinauf ziehen. Recht frisch ist es hier oben noch dazu und so liege ich tatsächlich seit langem mal wieder gemütlich eingekuschelt im Schlafsack, währen draußen der Regen auf mein Zelt prasselt. Das ist der Nachteil von Regenwäldern. Es regnet einfach zu oft. Dabei hatte ich am Mittag, als ich mich in der Sonne den Berg hinaufquälte noch überlegt, ob ich es vielleicht von hier aus bis Nordkalifornien ohne Regen schaffen könnte… Der nächste Tag brachte dann fast Dauerregen und so legte ich einen Pausentag ein, um den Regen auszusitzen. Zum Glück führe ich immer ausreichend Proviant mit, so dass noch nicht mal der nachmittägliche, obligatorische Kaffee mit Keksen ausfallen musste. Da es am nächsten Tag leider aber immer noch regnete entschied ich mich das nasse Zelt einzupacken und weiterzufahren. Zu meiner Überraschung hörte es nach 5 km, als ich um den Berg herum war plötzlich auf zu regnen und nur ein leichter Niesel begleitete mich bis in die nächste Stadt und auch der dichte Regenwald wich direkt wieder einer Mischung aus „normalem Mischwald“ und landwirtschaflich genutzen Flächen. Erstaunlich, was ein Berg für ein Mikroklima mit eigener Vegitation erzeugen kann.

Mein Fahrrad habe ich für einen Tag in einem Hotel in Coban gelassen und bin nach Lanquin gefahren, einem kleinen Indianer Dorf in einem engen Tal, das seine einzige Daseinsberechtigung auf der touristischen Landkarte dem Umstand verdankt, dass in der Nähe die Sinterterrassen von Semuc Champey liegen. Angeblich eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Guatemalas. Türkisblaues, klares Wasser staut sich hier über mehrere Becken, in denen man wunderbar baden und sich erfrischen kann. Oder man lässt die Füße in das kühle Nass baumeln, während kleine Putzerfische alte Hautschuppen von den Füßen knabbern. Eine Behandlung zum Nulltarif, die man in manchen Pedikürezentren teuer bezahlen muss, wo man die Füße in ein Aquarium mit den Fischen taucht. Hier sitzt man ganz entspannt, umgeben von steil aufragenden, von Urwald überwucherten Hängen, mitten in der Natur. Eindeutig das schönere Setting, auch wenn die Anfahrt nicht gerade kurz ist. Die Sinterterrassen an sich sind ganz nett. Begeistert war ich aber von meinem Abendprogrammpunkt. Dem Exodus der Fledermäuse! Allabendlich fliegen kurz nach Sonnenuntergang Tausende und Abertausende von Fledermäusen in einem Strom aus einer riesigen Kalksteinhöhle aus, um auf die Jagd zu gehen. Außer mir standen nur zwei weitere Touristen im Höhleneingang. Ich hätte hier deutlich mehr Menschen erwartet, die sich das Schauspiel ansehen wollten, aber im Moment scheint das noch etwas ein Geheimtipp zu sein. Mich hat’s gefreut und so konnte ich ganz in Ruhe dieses einmalige Erlebnis genießen. Fasziniert schaute ich zu, wie lautlos und ohne mit den Wänden, den Stalaktiten oder mit mir zu kollidieren, tausende von Fledermäusen, die mit ihren Flughäuten viel Wind machten, um mich herum und teils nur haarscharf an mir vorbei in rasender Geschwindikeit in Richtung Höhlenausgang hinaus in die Nacht flogen.
Normalerweise wäre der Strom der Tiere noch dichter, sagte mir der Nachtwächter, aber weil sich noch ein Tourist in der Höhle befand hatte man das Licht angelassen, weshalb die Tiere nicht ganz so zahlreich ausflogen. Für mich aber auch so schon mehr als beeindruckend und das absolute Highlight dieses Tages. Im Microbus ging es am nächsten Morgen wieder zurück zum Hotel, wo mein Fahrrad auf mich wartete.

Noch ein kleines Stück hinauf, dann hinab, vorbei an Kaffeeplantagen und Kiefernmonokulturen in wellige, tiefer gelegene Gefilde wo zwischen dichtem Urwald auf kleinen gerodeten Flächen Bananen und ein paar Kardamompflanzen wachsen. Brutale Gegenanstiege von teils 16% bringen mich kräftig ins Schwitzen und so wellt es sich noch lange Zeit dahin, vorbei an Holzhütten und anderen einfachen Behausungen, vor denen die Bewohner am Straßenrand eine Handvoll Kakaobohnen zum trocknen ausgelegt haben, Bündel mit Feuerholz zum verkauf anbieten, wo sie Wäsche waschen, mal im Straßengraben, mal im Bach. Wo Tortillas geklatscht und gebacken werden und wo man Melonen, Papayas und Bananen verkauft. Mittlerweile schon eine vertraute Szenerie. Neu und mich jeden Tag aufs Neue begeisternd, ist die Authentizität der Bevölkerung des Hochlandes Guatemalas bis weit in die Tieflandregionen des Nordens hineinreichend. Hier treffe ich fast nur noch auf Indianer, die Frauen in Sandalen und bunten Röcken mit farblich passend abgesetzten oder kontrastierenden Oberteilen aus Spitzenstoff. Das lange, ebenholzschwarze Haar mal zu einem Zopf oder einem Dutt gebunden. Auf dem Kopf oft eine Schüssel mit Mais oder Tortillateig balancierend und auf dem Arm oder an der Hand ein Kind. Das balancieren von Gefäßen und Schüsseln auf dem Kopf lernen die Kinder schon von klein auf. Immer wieder sieht man kleine Mädchen, die mit einer Schüssel mit Maisteig auf dem Kopf zwischen den Hütten oder entlang der Straße unterwegs sind, manchmal noch mit kleinem Geschwisterchen an der Hand. In bunten Kleidern und vor grünen Bananenstauden ein schönes Bild, dass ich eigentlich gerne einmal fotographiert hätte, aber so etwas ist immer schwierig, wenn man als Gringo hier vorbeifährt. Die meisten möchten auch nicht fotographiert werden, was ich natürlich respektiere. Die älteren wirken oft etwas verschlossen, wobei die jüngeren Familien oft auch winken, wenn ich vorbeifahre. Besonders aber den Kindern bereitet der Anblick eines weißen, großen Mannes auf vollbepacktem Fahrrad große Freude. Aus fast jeder Hütte, an der ich vorbeifahre schallen „Gringo“ Rufe und Kinder winken freudig, kommen an die Straße gelaufen oder rennen ein kleines Stück neben mir her, so lange sie es schaffen.

Ich muss, als ich das Leben entlang der Straße hier beobachte, an die Worte einer Engländerin in Semuc Champey denken, die über die dort bettelnden Kinder sagte, sie sollten doch lieber in die Schule gehen. Sicherlich ist eine gewisse Schulbildung wichtig, aber wenn man die Kinder hier sieht, eingebettet in ein völlig anderes Leben, mit eigener Sprache, eigenen Regeln und eigener Kultur in einem eigenen Rhythmus, wo jeder von klein auf mit anpackt und überwiegend die Dinge des täglichen Bedarfs selbst hergestellt werden, da fragt man sich, ob man aus unserer gutmenschlichen, westlichen Sicht, nicht den Zeigefinger wieder einpacken und akzeptieren sollte, dass es auch ein Gegenmodell einer alternativen Lebensform geben kann. In einer materialistischen Welt, wo man arbeiten geht, wo es auch genügend Arbeit gibt, tauscht man seine Zeit gegen Geld ein, von dem man dann Convenience Produkte kauft, die einem die Arbeit des Kochens abnehmen, weil einem diese Zeit, die ansonsten für die Versorgung benötigt würde fehlt. In einer solchen Welt ist Schulbildung entscheidend, um einen möglichst guten Job zu bekommen, um sich in der verbleibenden Zeit ein möglichst komfortables Leben zu ermöglichen. Hier folgt das Leben anderen Regeln und Bedürfnissen. Selbst mit der hier zu erlangenden mäßigen Schulbildung würde der Weg für viele nicht weit weg führen. Natürlich möchte ich die Wichtigkeit von zumindest einer rudimentären Grundbildung nicht leugnen und man sieht doch relativ viele Kinder, die auch zur Schule gehen. Aufgrund der begrenzten Möglichkeiten im Land und unter Berücksichtigung der vorherrschenden Strukturen, muss aus der gutmeinenden industrialisierten Sicht, aber eventuell eine Neubewertung stattfinden.

Fazit: Das Herz Zentralamerikas, das sind rauchende Vulkane, flache Steppenlandschaft und üppig überwucherte Berge. Das sind klare Bäche und Müll am Straßenrand. Das sind violett schäumende Flüsse. Das sind bis zu 20 Kinder auf der Pritsche eines Pick- up Trucks und noch viel mehr Menschen auf der Ladefläche eines Kleinlasters. Wer nicht mehr in den Bus passt steht hinten auf der Stoßstange oder fährt oben auf dem Dach oder dem Gepäck sitzend mit. Täglich zigfach werde ich von Mopeds überholt, deren Beifahrer eine Pumpgun halten und selbst hinten auf dem Colatruck sichert ein bewaffneter Sicherheitsmann die Ladung und den Fahrer, so wie vor jedem zweiten Geschäft mit Schrotflinten bewaffnete Wächter stehen. Zentralamerika ist also sehr sicher. Das Herz Mittelamerikas ist aber auch das Armenhaus. Menschen tragen große Bündel gesammelten Feuerholzes teils Kilometer weit und immer versucht irgendwer, irgendwo, irgendwas zu verkaufen. Vor allem in El Salvador stehen sehr viele Wellblechhütten am Straßenrand. Für einen Schleuser, einen sogenannten „Coyoten“ der seine Mitbürger in die USA bringen soll, müssen 7000-10000 Dollar aufgetrieben werden. Hierfür legen ganze Familien zusammen oder verschulden sich, in der Hoffnung, dass das Familienmitglied es schafft und monatlich einen kleinen Betrag in die Heimat schicken kann. Ein Tagelöhner verdient, wenn er das Glück hat einen Job zu ergattern 8 Euro am Tag. Ein einfacher Feuerwehrmann ca. 150 Euro im Monat. Trotzdem treffe ich viele, die ein Familienmitglied haben oder zumindest jemanden kennen, der es geschafft hat. Zentralamerika, das sind freundliche, hilfsbereite Menschen und viele, viele Kinder in Großfamilien. Das ist Tradition und nur langsamer Fortschritt. Das sind Frauen in bunten Kleidern mit Schüsseln, Körben und Schalen auf dem Kopf. Das ist Tourismus in nur ganz wenigen Ecken und dazwischen volle Authentizität. Das sind ständige, freudige Gringorufe und… ach ja… Maistortillas.

Ich dachte ich hätte schon alles gesehen, aber noch immer gibt es Neues zu entdecken, was mich begeistert und so werde ich schon manchmal etwas wehmütig, wenn ich daran denke, dass die Reise bald vorbei sein wird und nur noch so um die 7-8 Monate übrig sind…

Anbei heute 62 Fotographien und Schnappschüsse, die die Vielseitigkeit und die kontrastreichen Eindrücke dieses Reiseabschnitts, wie ich meine, zumindest ein Stück weit wiedergeben können.

Für mich geht es von Flores aus nun zu einem Haufen alter Steine im Rregenwald, weiter nach Belize mit einer sprachlichen Besonderheit und ein paar Tage später wartet dann auch schon Mexiko.

Bis dahin wie immer alles Gute!

5 thoughts on “Im Herzen Zentralamerikas”

  1. Habe gerade mal ein bisschen deinen Blog durchgeblättert… Unfassbar, was du in 13 Monaten erlebt, gesehen und im Wortsinn erfahren hast! Und was wir lesen und sehen können, ist ja nur ein kleiner Ausschnitt, die Spitze des Eisbergs, sozusagen…
    Behütete Weiterfahrt!

  2. Es muss toll sein so viele verschiedene Menschen zu treffen ,aber am liebsten wäre ich am Vulkanrand gestanden.
    Weiterhin tolle Erlebnisse.
    Liebe Grüße
    Dietlind

  3. Hello Niko – bin begeistert ueber deine Reise durch Central America. Tolle
    Aufnahemen und sie erwecken Erinnerungen an Mexico and Columbia. Diese
    Welt ist so distinct latino – ja man moechte fast sagen man waere in Spanien.
    Wenn du ins Hochland von Chiapas kommen solltest – besuche San Cristobal
    de las Casas. Ein ganz toller Indian Market und auch der Friedhof – wo die Mayas
    oft den Sonntag an den Graebern ihrer Verstorbenen verbringen. Dann auch
    die Guelagueza in Oaxaca. Classische Tanz-Wettbewerbe der Tolteken aus den
    umliegenden Doerfer. Erkundige dich: sie wird meistens im Fruehjahr stattfinden.
    Gute Weiterfahrt und bis bald!
    Rainer

    1. Hallo Rainer, es freut mich immer von dir zu hören. Ich werde San Cristobal und Oaxaca auslassen, da das einen großen Umweg bedeutet und für mich nichts Neues bereithält. Ich steuere am Golf von Mexiko entlang und dann direkt in Richtung Puebla und gerade durch bis zur Baja California. Die eingesparte Zeit verbringe ich dann lieber bei dir auf dem Sofa bei Kaffee und Kuchen. Werde ca. am 18.05. in San Francisco sein. Viele Grüße

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