Das letzte Steak

Unruhig verbrachte ich die letzte Nacht in meinem Bett in Jujuy. Ich hatte mich mal wieder völlig überfressen. Es war die letzte Nacht in Argentinien (zumindest im zivilisierten, bewohnten Teil). Vorräte für fünf Tage waren eingekauft, die Taschen gepackt und alles zur Weiterreise vorbereitet. Zum Abschluss der langen Zeit, die ich in Argentinien verbracht habe, wollte ich zur Feier noch ein letztes argentinisches Rindersteak essen. Direkt neben meinem Hotel war ein Restaurant, dass als sehr gut bewertet war und so brauchte ich nicht lange überlegen. Fatalerweise war just an diesem Abend „All you can eat Grillabend“ angesagt und so kam es, dass ich mich natürlich mal wieder nicht zurück halten konnte und alles probierte, was mir an den Tisch gebracht wurde. Als ich dem Kellner nach geschätzten 800g Fleisch+ Salat und Beilagen signalisierte, dass ich leider nicht mehr könne, schaute er mich enttäuscht an und fragte, was ich zum Abschluss noch gerne hätte. So ein bisschen was vom Rind? Ein Stück Filet vielleicht? Ouf. Na ja. Also gut. So ein kleines Rinderfilet zum Abschluss geht immer. Und so kam es, dass ich mich mit gutem Essen übersättigt, zufrieden zur Ruhe legte. Ein standesgemäßer Abschied aus dem Land des Fleisches!

Am nächsten Morgen schien nach trüben Tagen endlich auch die Sonne wieder. Auf der Ausfahrt aus San Salvador de Jujuy konnte ich erstmals die Berge sehen, auf die ich in direkter Linie zufuhr und in die hinein und über die hinüber meine Route mich führen sollte. Relativ schnell ließ ich die grünen, bewaldeten Hügel um Jujuy hinter mir und in gemächlichem Tempo stieg die Straße immer weiter sanft an. Über einen kleinen Pass auf 2200 m Höhe ging es nochmal etwas in ein Tal hinab, vorbei an Kakteen übersäten, bunt leuchtenden Hängen bis zur Abzweigung nach Purmamarca und dem Paso de Jama. P1010150Purmamarca ist tagsüber sehr touristisch. Unzählige Busse karren Touristen an das Dorf am Regenbogenfelsen, die wie Horden über das Dorf herfallen um die mineralisch bunt gefärbten Felsformationen zu bestaunen. Hier verbrachte auch ich die erste Nacht auf immerhin schon 2300 m Höhe. Am nächsten Tag dann die Wasserreserven aufgefüllt. Immerhin 12 l oder 12 kg zusätzlich. Inklusive Essen also geschätzte 95 kg unter dem Hintern, pedalte ich vorbei am Dörfchen hinein in den Pass. Noch 1900 hm am Stück lagen vor mir. Bis auf 3550 m Höhe sollte ich es an diesem sonnigen Tag schaffen. Dann war Schluss und ich fand ein gutes Plätzchen für mein Zelt in einer Serpentine. In der Nacht brach dann ein Sturm über mich hinein, der am Zelt riss und rüttelte. An ein Weiterfahren war am nächsten Tag nicht zu denken. Der Starksturm rüttelte am Morgen so stark am Zelt, dass ich Angst hatte es würde der Dauerbelastung eventuell nicht stand halten und so legte ich es zur Sicherheit flach, mit all meinen Taschen beschwert. Ich selbst stapelte ein paar Steine als Windschutz zu einer Mauer neben einem großen Stein und harrte dahinter kauernd den Tag aus. Gegen Nachmittag legte sich der Sturm. Ich konnte meinen Windschutz verlassen und kundschaftete die Straße hinauf ein Stück aus. Morgen würde ein großer Tag werden. In steilen Serpentinen wand sich die Straße in die Höhe und ich würde das erste Mal mit meinem Fahrrad auf über 4000 m klettern. P1010183Die Sonne war verschwunden. Aus dem Tal drückte, wie ein großer See, dichter Nebel herauf. Langsam schob er sich, wie mit langen, weißen Fingern die Täler hinauf. Die Straße unter mir verschwand zusehends im Nebelmeer und mit großer Geschwindigkeit schob sich ein dicker Nebelwurm auch bis zu mir hinauf. Doch es ging ihm die Kraft oder der Nachschub aus und so verflüchtigte er sich so schnell wie er gekommen war. Gleichzeitig bemerkte ich, wie die sonst trockene Luft feucht roch. Es dauerte noch zehn Minuten, in denen der Nebelsee immer weiter anstieg, bis er plötzlich auf meiner Höhe angekommen war und über die Kanten der Abhänge neben der Straße wie eine große Welle über mich hereinbrach. Zeit, sich bei der feuchten Kälte ins Zelt zurückzuziehen. Am nächsten Morgen war ich noch immer von Nebel ganz umgeben. Das Zelt hatte außen eine Eisschicht angesetzt, aber es war windstill. So fuhr ich bei Minusgraden langsam die Serpentinen weiter hinauf, entstieg den Wolken und kam schlussendlich auf 4191 m an. Was für ein tolles Gefühl und was für eine klasse Aussicht auf das Wolkenmeer unter mir. Hinter dem Pass war aber umgehend Schluss mit lustig. Urplötzlich blies mir wieder ein straffer Wind entgegen und aus der rasanten Abfahrt ins Tal wurde mal wieder nichts. 800 m ging es hinab in eine Hochebene. In den flach abfallenden Bereichen pedalte ich mit 9 km/h gegen den Wind. Zusätzlich wurden mir noch kleine Steinchen und Staub ins Gesicht geblasen. Eigentlich sollte ich vor mir die Salinas Grandes sehen. Eine große Salzfläche und Touristenattraktion in der Region. Was ich sah, war aber nur eine große Staubschüssel. Hier hineinzufahren wäre Irrsinn und so kehrte ich im einzigen Restaurant, dass just hier am Wegesrand lag ein und überlegte bei Tamales (im Maisblatt gedämpfter Maisteig mit Fleisch und Gemüsefüllung) und meinem ersten Kokatee, wie ich weiter verfahren sollte. Ich entschied mich den Rest des Tages in einer verfallenen Bauruine nebenan zu verbringen. P1010200_collageWieder mal die richtige Entscheidung. Am nächsten Morgen hatten sich Sturm und Staub gelegt und der Blick war frei auf die Salinas und die dahinter liegenden Berge. Ohne Wind ging es dann zügig hinein. Ich schaute mir noch kurz die Salzabbaustätten an und fuhr weiter die Ebene entlang. Gegen Mittag war der Wind schon wieder da. Neben mir zogen erste Staubfahnen entlang und allmählich füllte sich die Schüssel hinter mir wieder. Ein Glück, dass ich schon weit genug fortgeschritten war. Vor dem nächsten Anstieg reichte es aber auch mir und ich suchte wieder Schutz in einer Bauruine. Gut dass diese in etappengerechten Abschnitten hier am Wegesrand liegen. Ohne Wind am nächsten Morgen wieder hinauf auf 3900 m, 300m hinab in das einzige Dorf auf der 500 km langen Strecke. Nach drei Tagen mit Reis und Brühwürfel und zwei Tagen mit Pasta gönnte ich mir hier nochmal ein gutes Mittagessen, stockte meine Vorräte auf, um dann 5 km später im einzigen Hotel auf der Strecke einzukehren. Der Wind war schon wieder da. Verflixt nochmal. P1010246Sehr früh raus am nächsten Morgen, bei Minus 10 Grad hinauf auf den nächsten Pass mit 4100 m, 200 m hinab zum nächsten Salzsee. Landschaftlich toll und genau das, was ich mir bei dem Vorhaben Panamericana vorgestellt hatte, genau die Bilder, die ich dabei vor Augen hatte. Lange, unbefahrene Straßen durch endlos triste Wüstenlandschaft. Wobei, so richtig trist ist die Landschaft nicht. Eher faszinierend. In der Eintönigkeit nimmt man alles Farbige viel intensiver wahr. Das vertrocknete Gras leuchtet golden gegen das strahlende Weiß der Salzwüste, abgesetzt gegen den stahlblauen Himmel. Der nun vertraute Nachmittagswind lässt mich wieder mal Zuflucht in einer verfallenen Hütte suchen. Das Zelt hier aufzubauen fällt trotzdem schwer, da der Wind sich in der Hütte fängt das Zelt wie einen Drachen flattern lässt. Der nächste Tag. Gipfeltag. Ich verbummele die Zeit leider ein bisschen in dieser faszinierenden Landschaft aus Eis, trockenen Grasbüscheln und heißen, bunten Quellen. 300 m unter dem Gipfel kommt wieder urplötzlich Sturm auf. Aber ich will nicht aufgeben. In einem Kilometer macht die Kurve einen Knick. Teils schiebend, teils für ein paar Meter fahrend kämpfe ich gegen den Sturm an. Hinter der Kurve kann ich für ein paar hundert Meter wieder fahren, bis Steigung und Wind zu sehr zunehmen. Stück für Stück schiebe ich das Rad vorwärts. Ein Autofahrer bietet mir an mich mitzunehmen. Das kommt natürlich überhaupt nicht in Frage. Nicht hier! Ab der nächsten Kurve dann kaum mehr Wind. Die Steigung nicht mehr ganz so steil. Ich kann wieder fahren, wenn auch langsam. Aber auf keinen Fall wollte ich schiebend oben ankommen. Der Gipfel ist jetzt ganz nah. Ich weiß, dass ich es gleich geschafft haben würde. Nur noch ein paar Meter. Das erste Mal und vielleicht das einzige Mal in meinem Leben, dass ich mit dem Fahrrad auf diese Höhe hinauf fahren werde. Alles aus eigener Kraft. Ohne Hilfe! Den Pass bezwungen, der mir schon so lange vor der Reise im Kopf war. Einer der höchsten fahrbaren Grenzpässe überhaupt. Bei diesem Gedanken überwältigen mich ein paar kleine Tränen. Was für ein Erfolg! 4826 m zeigt mein GPS am Ende an.

Nochmal geht es hinab in eine vegetationslose Wüste.P1370796 Der Wind legt sich bis zum Abend und ich baue mein Zelt ein letztes Mal auf, in der Gewissheit am nächsten Tag San Pedro de Atacama zu erreichen. 4 Uhr nachts. Der Wind rüttelt wieder an meinem Zelt und spätestens, wenn der Wind einem die Zeltwand ins Gesicht drückt, weiß man, es ist Zeit das Zelt abzuspannen. Minus 6 Grad im Zelt, außen natürlich noch kälter. Nach wenigen Minuten schmerzen meine Finger und sind so steif gefroren, dass ich die Heringe kaum mehr halten kann. Auch am Morgen bläst noch eine steife Brise und so wird es ein richtiger Kampf San Pedro noch zu erreichen. Mit den gewohnt vor Kälte schmerzenden Fingern treibe ich mein Rad nochmals auf 4824 m Höhe, bevor es in stetigem Auf und Ab langsam nach unten geht. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreiche ich auf 4600 m Höhe den letzten Hügel. Unter mir liegt die Atacama Wüste. Es erwarten mich 2000 hm auf 25 km Abfahrt, danach dann nochmal 200 hm auf 20 km bis nach San Pedro. Es ist geschafft. Die erfolgreiche Andenüberquerung feiere ich standesgemäß – Mit Pisco Sour, Bier und Steak.

Hier werde ich nun ein paar Tage ausruhen, evtl. die Umgebung etwas erkunden und mich auf den voraussichtlich härtesten Abschnitt meiner Reise vorbereiten. Die steile Straße wieder hinauf auf 4600m. Von dort dann ab auf Schotter, Sand und Kies durch unwirtlich tristes Gebiet ohne viele Versorgungsmöglichkeiten in Richtung Bolivien und Salar de Uyuni.

Bis dahin wie immer viel Spaß mit den Fotos meines letzten Reiseabschnitts. (42) P.S.: Die schöneren Fotos kommen hinten raus- also fleißig durchklicken.

 

6 thoughts on “Das letzte Steak”

  1. Nicolas!!!!! Veo que llegastes a Chile, FELICITACIONES !!!!!!!!! Saludos,

  2. Das müssen übermenschliche Anstrengungen gewesen sein!!! Unfassbar!!! Toll!!! Größter Respekt für diese physische und psychische Höchstleistung! Unseren aller herzlichsten Glückwunsch! Und die Landschaft dort ist wirklich grandios! Jetzt entspanne dich erstmal richtig vor der nächsten Herausforderung! Alles Liebe von daheim!

  3. Voy a seguir tu viaje mirando las fotos, porque de aleman no entiendo mucho, jajajjajaja.
    Saludos.

  4. Hello Niko – congratulation you made it. Las gerade deinen Bericht! Phantastsch!
    Die Bergwelt ist einmalig – so habe ich sie mir vorgestellt. Sieht so aus wie unser
    Westen – Nevada, Utah, Arizona. und Death Valley! Kein Vergnuegen. Du bist ja
    wirklich ein Wunderkind. Mach mal wieder Pause nach all den Strapazan. Gute
    Weiterfahrt oder „climbing tour“.
    Alles Gute – Rainer

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