6088 m

 

Besser als nichts, denke ich mir. Eigentlich wollte ich den mit 6438 m etwas höheren und vor allem technisch anspruchsvolleren Illamani besteigen, konnte aber keinen zweiten Mann für die Unternehmung finden. So wurde es eben der sehr touristische Huayna Potosi mit 6088 m. Pünktlich um Mitternacht war Wecken. Das Licht ging an und jeder kroch aus seinem Schlafsack. P1380523Wirklich geschlafen hatten die wenigsten. Viele klagten über leichte Kopfschmerzen und andere Höhenprobleme. Das Frühstück um diese Uhrzeit fand keinen großen Zuspruch. Blieb mehr für mich. Pünktlich um 1 Uhr war dann Abmarsch Richtung Gipfel. Zum Glück ging es meinem Seilpartner so schlecht, dass er sich entschied auf der Hütte zu bleiben. Somit hatte ich den Guide für mich. Schon am Vortag, beim Aufstieg zum Hochcamp, hatte der Franzose keinen besonders guten Eindruck gemacht, weshalb ich mir Sorgen um den Gipfelerfolg machte. Diesem stand nun nichts mehr im Wege und erleichtert marschierte ich los, hinein in die Nacht. Schnell war klar, dass wir viel zu früh am Gipfel ankommen würden. Der Großteil der Gipfelaspiranten war schon innerhalb der ersten Stunde weit abgehängt. Nur die Lichter der Stirnlampen waren wie Perlen auf einer Schnur in der Ferne unter uns zu sehen. Über Schnee und Eis ging es immer weiter aufwärts. Die Höhe machte mir nicht wirklich etwas aus. Weiter durch tolles, scharfgezacktes Büßereis waren wir über eine Stunde vor Sonnenaufgang kurz unter dem Gipfel. Weitergehen machte keinen Sinn. Was wollte ich denn im Dunkeln auf dem Gipfel stehen? Ich hatte meinem Guide schon eine Stunde zuvor gesagt, dass ich nicht im Dunkeln oben ankommen wollte. Trotzdem liefen wir immer weiter. Ihm war kalt. Mich weigernd weiterzugehen harrten wie nun also kurz unterhalb des Gipfels eine halbe Stunde aus, gingen nochmal ein paar Schritte und harrten nochmal 20 Minuten, bis die Dämmerung wenigstens so viel Licht brachte, dass man die Umgebung leicht erahnen konnte. Zügig ging es dann die letzten 50 Höhenmeter hinauf zum Gipfel, der mehr ein schmaler Eisgrat war. Ein atemberaubender Anblick! In der Ferne glitzerte golden das Lichtermeer von La Paz. Hinter mir leuchtete der Horizont orange und kündete vom baldigen Sonnenaufgang. Nach 20 Minuten fing mein Guide leider wieder an auf den Abstieg zu drängen (eigentlich schon nach 10 Minuten, denn ihm war noch immer kalt). Diesen ging ich nun aber gaaaaanz langsam an. Schließlich war ich hier hochgestiegen um den Sonnenaufgang zu erleben! Und endlich kam er auch. Ganz langsam schob sich der feuerrote Glutball am Horizont empor. Der Schnee ringsherum leuchtete mit zunehmender Intensität orange, während in der Ferne die aus den Wolken ragenden Gipfel noch im Schatten lagen. Was für ein erhabenes Gefühl diesem Schauspiel aus dieser Perspektive, die nur den wenigsten vergönnt ist, beiwohnen zu dürfen! Der Abstieg ging dann sehr schnell. Ohne Pause marschierte ich durch zur Hütte, wo ich schon kurz nach 8 Uhr ankam und mich für ein Nickerchen hinlegte, bis weit über eine Stunde später die erste nachfolgende Gruppe das Bettenlager erreichte. P1380549 (2)
La Paz- insgesamt 9 Tage habe ich in dieser Stadt, die sich wie ein riesiges Geschwür aus dem tiefen Tal die steilen Hänge hochschiebt, verbracht. Obwohl sie keine nennenswerten touristischen Sehenswürdigkeiten bietet, hat mir die Zeit in der quirligen, menschenüberlaufenen, tagsüber dem Verkehrsinfarkt nahen Metropole sehr gut gefallen. P1380599Einzutauchen, abzutauchen in das Gewühl der Menschenmenge, sich treiben lassen und aufgehen in der Masse. Das Flair atmen. Sich wie die Einheimischen mit Hilfe von Minibussen durch die Stadt zu bewegen, wie die Sardine in der Büchse mit 15 Mann in einem Van eingequetscht, dem man von außen nur 7 Sitzplätze zugetraut hätte, natürlich ohne Anschnallgurt und immer mit Vollgas. Wer raus will muss nur rufen. Wer rein will winkt sich den passenden Minibus einfach von der Straße. Haltestellen gibt es nicht. Gehalten wird überall entlang der Route nach Bedarf. Fahrpreis, egal wohin, umgerechnet 25 Cent. Überhaupt funktioniert der Personentransport in Bolivien toll. Unzählige Taxen und Minibusse verstopfen die Straßen und so braucht man nie lange zu warten um eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen. Auch kulinarisch hat La Paz viele hervorragende Restaurants für jeden Geschmack zu bieten und für den westlichen Geldbeutel zu unfassbar guten Preisen. Erwähnenswert der Ausflug auf der legendären Deathroad, P1010531der schmalen Schotterstraße, die vor dem Neubau einer Alternativstrecke auf ihrem Weg hinab in die Yungas unzählige Todesopfer gefordert hat. Trotz dichtem Nebels konnte man die steil, teils senkrecht mehrere hundert Meter abfallenden, von dichtem Jungelgrün bewachsenen Hänge erahnen. Ungesichert, ohne Leitplanken zieht sich die Straße dicht am Berg entlang. Viel Zeit die Aussicht zu genießen und Fotos zu machen blieb allerdings leider nicht, denn für den vollen Spaß musste man natürlich Vollgas, ohne zu bremsen die Piste hinunterjagen. Ein großes Vergnügen und unten angekommen genoss ich ein paar Gläser frisch gepressten Orangensaft, während ich auf die gewöhnlichen Touristen wartete. Von 4700 m hinab auf 1500. Von eisigen Bergen hinab in den feucht warmen Regenwald. Ein sehr empfehlenswerter Ausflug.
Nach neun Tagen habe ich mich in dieser Stadt fast schon zu Hause gefühlt. Aber die Reise muss weitergehen und so hieß es Abschied nehmen. Den Kessel wieder hinauf. 500 Höhenmeter über teils steile Straßen, die ungefilterten, schwarz rußigen Abgase der LKW und Busse in der Lunge. Belohnt mit nochmals spektakulären Ausblicken auf diese in den Berg gebaute Metropole. Oben in El Alto angekommen gönnte ich mir erstmal wieder einen frisch gepressten Orangensaft für 50 Cent und sah dann zu schleunigst in Richtung Titicacasee hinauszukommen. Durch kleine Dörfer und Städtchen, vorbei an bunten Märkten, an Prozessionen und Umzügen erreichte ich den bolivianischen Teil des riesigen Sees. Auf einer Hochstraße ging es mit tollen Ausblicken auf den See mit den dahinter liegenden, schneebedeckten 6000 ern der Cordeliera Real zur Peruanischen Grenze. Bolivien hat bei mir einen bleibenden, sehr positiven Eindruck hinterlassen und verabschiedete sich nochmal mit einem Beispiel bester Gastfreundschaft, als ich bei einem Dorffest auf dem zentralen Platz zu mehreren Tellern traditionellen Essens eingeladen wurde, das die Frauen des Dorfes zur Feier des Tages bereitet hatten.

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Touristen in ihrer eigenen Welt – ohne Blick für die Welt

Die Straße führte nun meist vom See weg in Richtung Inland und kam erst kurz vor Puno, welches ich bei ständigem Gegenwind erreichte wieder zurück an die Ufer. Hier stattete ich den schwimmenden Schilfinseln der Uros den obligatorischen Besuch ab. Was ich sah tat mir eher Leid, als dass es mir gefiel. Ein authentisches Erlebnis hatte ich ohnehin nicht erwartet, aber wie sich dieses alte Volk hier an die Touristen verkaufte glich schon einer Selbstaufgabe der eigenen Identität. Unser Boot wurde von Frauen in traditioneller Kleidung empfangen. Nach kurzen Ausführungen zum Aufbau der Inseln und deren Geschichte bekamen wir viel Zeit, die Souvenierstände anzuschauen und auch möglichst den dort angebotenen Handwerkskram zu kaufen. Die zahlenden Touristen durften auch ausdrücklich alles besichtigen und fotografieren, selbst die Kinder, die dabei einen eher unglücklichen Eindruck machten, was die erlebnissüchtigen Besucher allerdings gar nicht zu bemerken schienen. Im Anschluss sollten möglichst alle auf eines der Schilfboote umsteigen, natürlich gegen Extragebühr, um dann auf eine 300 m entfernte, benachbarte Insel gefahren zu werden, wo man dann in einem Restaurant noch mehr Geld liegen lassen sollte und wo weitere Souvenierstände Waren feil booten. Erstaunlicherweise ließen sich alle Teilnehmer meiner Gruppe darauf ein, bestiegen das Boot und wurden von den Uro-Frauen mit einem kurzen Lied auf Aymara verabschiedet, dem eine Version des Kinderliedes „Row, Row, Row Your Boat“ folgte, mit dessen englischen Text die Frauen allerdings sichtlich überfordert waren, geschweige denn, dass sie verstanden hätten, was sie sangen. Ein eher trauriges, erbärmliches Schauspiel, bevor das Boot, von einem Motor getrieben, ablegte. Ich genoss die nun eingekehrte Ruhe auf der Insel, die sich unter meinen Füßen wie Watte anfühlte, folgte mit 15 minütiger Verzögerung mit „unserem“ Boot den Touristen, bekam auch nochmal die Gelegenheit 30 Minuten auf der Nachbarinsel zu verbringen, bevor wir dann alle zusammen wieder zurück nach Puno fuhren. Authentischer – und besser gefallen hatten mir die Binsenbinder, die ich im Vorfeld unterwegs entlang des Sees besucht hatte, die tatsächlich noch ihrem Handwerk nachgingen und die nur zum Teil touristisch ausgerichtet waren, die sich über das Interesse an ihrer Arbeit gefreut haben und die mit Freude ihr Handwerk vorführten – aber hier kommen die Massen der Pauschaltouristen ja nicht vorbei…

400 km waren es nun noch bis nach Cusco. Obwohl ich mich auf dem Altiplano relativ eben bewegte, sollte es keine einfache Fahrt werden. Der ständige Nordwind machte mir schwer zu schaffen und so ging es nur ganz langsam voran. Am Nordrand der Hochebene war es dann endlich so weit. Mit verlassen des Altiplanos und mit Beginn des Aufstiegs zum 4338 m hohen Abra la Raya Pass überschritt ich endlich die 10 000 km Marke. Ein kurzes Foto und los ging es in den Anstieg, wieder gegen den Wind. Auf der Passhöhe dann wieder Mal Verkaufsstände für P1380726Touristen. Ein Imbissstand wäre mir lieber gewesen. Der folgte dann aber in Aguas Calientes, 10 km später, wo ich nach einem sehr leckeren, knusprigen Hühnchen aus dem Ofen noch ein warmes Bad in den Quellen genoss, bevor es dann immer weiter, gegen den Wind strampelnd das Tal hinab ging. Die Landschaft wurde langsam lieblicher, links neben mir schlängelte sich ein Fluss und das erste Mal seit vielen Wochen sah ich endlich mal wieder Grün! Was für eine Wohltat für das Auge. Kurz vor Cusco durfte ich dann den Traum eines jeden kleinen Mädchens leben. Ein Moment, auf den ich schon lange gewartet und auf den ich mich schon lange gefreut hatte. Die Peruaner haben eine besondere Liebe zu Meerschweinchen entwickelt, fast so, wie viele Kinder in Deutschland diese kleinen, süßen, putzigen, leicht zotteligen Tierchen lieben. Die Peruaner halten sogar nicht nur ein, zwei der kleinen, quickenden liebenswerten Schweinchen, sondern gleich ganze Ställe voll. Natürlich kann man bei einer solchen Anzahl von Tieren nicht jedes einzeln so zärtlich knuddeln, wie die kleine Susi das mit ihrem Meerschwein Manfred, genannt „Manni“ macht, aber am Ende wird Ihnen trotzdem mindestens die gleiche Aufmerksamkeit zu teil. Und weil auch ich Meerschweinchen liebe, habe ich mich um „Manni“ gekümmert! Das war das mindeste, was ich für ihn tun konnte. Manni al Horno – Manni aus dem Ofen. Sehr zart, aber keinen intensiven Eigengeschmack und leider viel zu wenig dran. Aber interessant war es allemal, auch wenn ich aufgrund des günstigeren Preises und des höheren Sättigungsgrades wohl bei Hühnchen bleiben werde. Danke Manni!

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    Mein geliebtes Meerschweinchen „Manni“ – R.I.P.
An alle großen Brüder, die das Meerschweinchen der kleinen Schwester nun mit anderen Augen sehen, oder an alle Eltern, die noch keinen gefunden haben, der in den großen Ferien auf Manfred aufpasst – all die können sich für Rezeptideen gerne an mich wenden.

Cusco hat auf mich einen tollen ersten Eindruck gemacht. Der Stadt und ihrer Umgebung werde ich mich im nächsten Bericht widmen. Bis dahin – viel Spaß beim Nachkochen!

 

3 thoughts on “6088 m”

  1. …und wir essen die netten Kaninchen…
    …und in China isst man Bello… 😉

  2. Glückwunsch zu den 10000!!!
    Und zum Gipfelglück in der Morgensonne! Tolle Aufnahmen, auch von den farbenfrohen Garnen oder Stoffen vor der Bergkulisse. Das hat was!

  3. Hello Niko – die Bergtour hoert sich fast wie eine Besteigung
    des Mt. Everests an. Fantaaaastisch! Gute weiterfahrt und noch
    viel Glueck und Spass in den Anden.
    Ciao Rainer

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